Brigade Dirlewanger
außergewöhnliche Energie kommt zuerst wieder auf die Beine.
Wie spät? denkt der Kompaniechef und versucht, an seine Uhr zu kommen. Sie ist am linken Armgelenk. Der Verwundete kann sich nicht rühren. Er begreift, daß er auf der einen Seite, von der Schulter abwärts, verschüttet ist, und tastet weiter, fast in der kühlen Distanz eines Forschers.
Wieso nicht mehr? Warum nur die eine Seite? Eine Granate muß in das Haus gewuchtet sein. Die von der Decke prasselnden Balken haben sich wie ein Schutzgitter um Vonwegh gelegt und die größte Wucht des brechenden Mauerwerks aufgefangen. Nur links erwischte es ihn. Vermutlich Prellungen, überlegt Vonwegh weiter, wenn keine Quetschungen, wahrscheinlich noch viel schlimmer. Und er wundert sich, daß er nichts spürt. Seine linke Seite ist pelzig, schon wie abgestorben.
Schritte? Nein! Die Schüsse kommen entfernter. Dann glaubt Paul Vonwegh Hilferufe von Frauen zu hören. Aber es kann auch eine Täuschung sein. Die Anspannung ermattet ihn. Der Schlaf tut ihm gut. Sein Unterbewusstsein kommt ins Träumen.
Abrupt desertiert das Bild.
Der Hinterkopf schmerzt wie Höllenstein. Die Schritte sind ganz deutlich, keine Täuschung, keine Tarnung. Nichts zu machen. Paul Vonwegh ist mit der einen Schulter ans Kreuz geschlagen, kann sich nicht rühren. Es sind die Schritte eines Schleichenden, eines Plünderers, vielleicht eines Mörders? Wer? überlegt der Kompaniechef angestrengt. Der Gorilla ist es nicht, er tritt fester auf. Auch Kordt, der Junge, pflegt rascher zu gehen. Kirchwein könnte es sein, der Epileptiker, oder einer, der bloß verschnaufen will, oder ein anderer, der töten möchte …
Fast schmerzlich spürt Vonwegh auf der Iris, daß es viel heller ist, als er in seiner Dämmerung dachte. Er sieht die Beine des Näher kommenden, das Koppelschloss, die Brust … das Gesicht. Er möchte töricht den Kopf zur Seite drehen, um sich zu verstecken, als bemerkte ihn der andere so nicht … der Bindestrich, B-Soldat Brillmann, Vonweghs intimster Feind.
Er hat eine MP über der Schulter und sieht um sich. Rechts von Vonwegh steht das Dach noch, links ist es eingestürzt. Brillmann zündet sich eine Zigarette an. Er haut sich auf einen Betonklotz, sitzt unbequem, springt wieder auf, bemerkt jetzt erst den Verschütteten, tritt näher heran, erkennt den Kompaniechef.
Über sein Gesicht läuft dampfend die Freude wie schäumende Milch über eine Kochplatte. Er beugt sich zu Vonwegh herab und nickt. Für einen Moment zögert er noch. Er erkennt die hilflose Lage seines Kompanieführers, sieht sich horchend um, ist sicher, allein zu sein. »Das ist eine Überraschung«, sagt er. Er zieht eine alte Kiste heran, setzt sich und fährt fort: »Nettes Stelldichein, Herr Vonwegh, finden Sie nicht?«
Der Kompaniechef schließt die Augen. Aus, denkt er, vorbei! Und ich bin noch selbst daran schuld. Man spielt nicht. Ungeziefer ist zu vertilgen. Sachlich und präzise.
»Ganz recht«, sagt der Bindestrich und bläst geziert den Rauch aus, »Sie hätten es tun sollen, Herr Vonwegh … Sie hatten hundertmal Gelegenheit, aber Sie waren zu stolz dazu, zu arrogant … Sie wollten mich auf geistige Art foltern … Sie sind ein Narr, Vonwegh … Sie hätten ohnedies niemals im Leben gelernt, worauf es ankommt.«
Vonwegh ist weit weg. Er sieht Brillmann in die Augen. Sein Gesicht ist blaß und ausdruckslos. Nicht einmal die physischen Schmerzen sieht man ihm an.
»Mit Verbrechern wollten Sie mich fertigmachen … So war's doch, Vonwegh … Ihre Methode lief doch letztlich auf den Beweis hinaus, daß der Gorilla anständiger ist als ich …«
Erkannt, denkt Vonwegh und wundert sich, daß ein Kerl wie dieser Brillmann soviel Einfühlungsvermögen haben kann.
»Sie sind ein Träumer, Vonwegh«, fährt der Bindestrich fort, »ein typischer deutscher Spintisierer … Darum waren Sie doch schon in Spanien … und haben nur Prügel geerbt … Verbrecher wollten Sie erziehen … und was machen sie? Hören Sie die Schreie? Ihr Freund Petrat, der Mörder, hat im Blutrausch einen verwundeten Kameraden angefallen und wurde niedergeschossen wie ein tollwütiger Hund … Kortetzky, Ihr Leibgorilla, plündert gerade nebenan …«
Von draußen kommen Schritte. Brillmann fährt hoch, tritt ein paar Meter zurück, sieht hinaus, wartet ab, kommt wieder. »Keine Angst«, sagt er dann, »unser kleines Privatgespräch ist noch nicht zu Ende … Auf solche Leute wollten Sie sich stützen,
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