Brigade Dirlewanger
Die aus allen Richtungen heranprasselnden Geschosse weichen diesem Ungeheuer aus, als wollten sie es für den Strick aufsparen.
Noch steckt der SS-Oberführer nicht auf; er treibt seine Leute wieder voran, über Stock und Stein, als ihr schlimmster Feind im Rücken, feixt dabei noch über seine schon halb irre Krähenvisage: Sieger bleibt er in jedem Fall. Entweder schlägt seine Mordbrigade die Polen kaputt, wie er es befahl und zu nennen pflegte, oder das Fallbeil braucht sich um sie nicht mehr zu bemühen. So oder so ist es richtig und wird es erwartet. »Los!« brüllt er und springt wieder hoch.
Die Rebellen zielen präzis wie auf dem Schießstand. Jeder Schuß ein Treffer, dabei könnten sie die Meute noch dichter herankommen lassen. Die Distanz zu der geschickt eingebauten Stellung beträgt mindestens noch zweihundert Menschenleben.
Dirlewanger spendiert sie gerne. Sie werden ihm frei Brigade geliefert, von Richtern mit weißen Hemden und schwarzen Roben, die ohne Scham und ohne Recht, Hände an der Hosennaht, jeden verbrecherischen Befehl ausführen und deren Gewissen erst viele Jahre später erwachen und sich hinter dem Begriff des Rechtsstaats verschanzen wird, als es gilt, die braunen Mörder abzuurteilen.
Volltreffer. Vier erwischt es auf einmal.
»Weiter!« brüllt der Oberführer einen Kerl an, der kein Gesicht mehr hat. Aus einem Rußfleck starren ihn zwei rote Punkte wie Karnickelaugen an. Der B-Soldat weint. Die Tränen bahnen Schmutzgassen in seine Visage. Er spürt Dirlewangers Schlag und duckt sich wie ein Hund. Petrat, der schwerste Junge der Strafbrigade und ihr bester Soldat, Petrat, der Frauenmörder mit Urlaub vom Fallbeil, Petrat, eine gemeine Bestie und doch ein armer Hund. Jetzt preßt er sich so flach auf den Boden, als wollte er noch die Warze auf der Nase in Deckung ziehen, möchte in den Rinnstein hineinschlüpfen, bis er merkt, daß das Feuer von der anderen Seite kommt.
Er ist fix und fertig. Er weint haltlos. Wohin er sieht, hockt der Tod, Flammen, die ihn umzingeln, Mündungsblitze vor den Augen, Tod und Vernichtung aus jedem Rattenloch, und Petrat spürt, daß er hier nicht durchkommen wird, und merkt, wie ihn eine letzte, barbarische Kraft überkommt, gerade in dem Moment, da ihn Dirlewangers Stiefelabsatz in das Kreuz tritt. Der B-Soldat bäumt sich auf. Der nächste Schlag des Chefs trifft ihn am Hinterkopf, klemmt seine Zunge zwischen die Schneidezähne.
»Du Sau!« gurgelt Petrat, fährt herum, springt hoch, dampfend vor Hass, wie ein angeschlagener Kampfstier, dem man das rote Tuch vorhielt und der nur noch einen Trieb hat: zu töten, zu morden, zu schlagen, zu stampfen, den Nächstbesten. Er holt mit der Hand aus, um Dirlewanger, diesem noch größeren Scheusal, an die Gurgel zu fahren, spürt einen Schlag, starrt betroffen seine Hand an, durch die die verirrte polnische Kugel fuhr, betrachtet sie ungläubig, fassungslos.
Da schnappt dieses armselige Gehirn endgültig über. Alles wird zum roten Tuch vor seinen entzündeten Augen: Rot sind die Flammen, rot zucken die Mündungsblitze, rot knallt es aus jedem Loch, Rot schwimmt auf jedem Meter Boden, rot ist die Hand, der Blick, die Angst, der Hass, der nächste Schritt; die ganze Welt ist in diesen schmierigroten Farbtiegel getaucht. Diesem Rot gilt sein letzter Hass, sein letzter Trieb. Er sieht es in dem Gesicht des Kameraden, den es eben erwischt. Und dieses Rot möchte Petrat noch ausrotten, bevor er selbst krepiert.
Im Blutrausch des Wahnsinns stürzt sich Petrat auf ihn, um noch etwas zu greifen, bevor er alles loslassen muß.
Die Einschüsse der MP werfen ihn hin und her.
Petrat merkt nicht mehr, daß ihn die eigenen Kameraden niederknallen wie einen tollwütigen Fuchs …
Die erste Halbkompanie hatte zuletzt Feindberührung. Auf der linken Seite blieb es zunächst gespenstisch still. Aber Paul Vonwegh machte sich keine Illusionen. Er hatte seine Männer in Stoßtrupps aufgeteilt, die sich Haus für Haus vornahmen. Er selbst behielt Kordt, den Gorilla und Brillmann bei sich. Auf den Jungen konnte er sich ver lassen, Kortetzky war ihm ergeben, und den Bindestrich wollte er nicht aus den Augen lassen.
Vonwegh hat bereits vier Häuser geschafft. Die Rebellen benutzten sie offensichtlich als toten Raum. Nichts hatte sich gerührt. Die B-Soldaten um Vonwegh hatten schon wieder Glück gehabt; dabei wäre der Kompaniechef um eine Ablenkung dankbar gewesen, denn das Schweigen machte sein Gewissen laut.
Noch
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