bright darkness - strahlende Dunkelheit (German Edition)
Vielleicht legten ihre Eltern Wert auf dieses vornehme Getue. Irgendetwas war anders an den beiden, ihr Auftreten war stolz. Sie waren beide beliebt und geachtet, waren aber trotzdem immer nur unter sich. Die beiden unterhielten sich, Jeremys Gesichtsausdruck war etwas drohend, als ob er sauer wäre, während William bedrückt wirkte. Ich hätte gerne gewusst, worüber die beiden redeten, was sie nach der Schule machten, wo sie wohnten, welche Hobbies sie hatten oder welche Art von Musik sie mochten.
„Na, war dein zweiter Tag erträglicher?“, fragte Alex.
„Etwas. Ich häng‘ nur teilweise mit dem Stoff hinterher.“
„Wenn du Nachhilfe brauchst, sag Bescheid.“
„Mach‘ ich.“
Ich fand sogar ohne Umwege nach Hause und war nicht mehr so angespannt wie am Tag zuvor. Zu Hause angekommen, stellte ich meine Tasche in eine Ecke, bereitete mein Essen zu, aß diesmal am Esstisch und machte anschließend in aller Ruhe meine Hausaufgaben. Ich war froh, Velisa getroffen zu haben, sie erleichterte meinen Start erheblich.
Die darauffolgenden Tage liefen ziemlich ähnlich ab. Velisa, Jason und Alex warteten morgens vor der Schule auf mich und begleiteten mich von einer Stunde zur Nächsten, immer darauf bedacht, mich nicht im Schuldschungel zu verlieren. Nach Unterrichtsschluss standen wir noch kurz zusammen und unterhielten uns, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Ich fühlte mich von Tag zu Tag sicherer, aber nicht so geborgen, wie ich es gewohnt war. Velisa entpuppte sich als richtige Freundin. Sie war aufgedreht, aufgekratzt und meist wohlgelaunt, mit ihr konnte man sich toll amüsieren, und sie hatte immer einen behutsamen Blick auf mich, als ob sie mich beschützen wollte. Sie war ein richtig selbstbewusstes Großstadtgirl, und ich konnte mich vertrauensvoll an sie wenden, wenn ich Rat brauchte. Jason war etwas zurückhaltender, aber dennoch zuvorkommend und freundlich. Er konzentrierte sich stark auf Velisa. Die beiden waren ein echt süßes Paar. Sie war die Quirlige und er der Ruhepol in der Beziehung. Auch Alex wurde ein guter Freund. Mit ihm konnte ich über sehr viele Dinge sprechen. Bei ihm fühlte ich mich so geborgen, wie in Obhut meines großen Bruders. Alex erzählte mir vieles über seine Vergangenheit. Warum er seinen Vater nicht kannte, es ihm zwar egal, aber nicht komplett gleichgültig war. Er hatte zwei Geschwister, die zehn und vierzehn Jahre älter waren als er. Er war ein Nachzügler und wuchs sozusagen als Einzelkind auf. Kontakt zu seinen Geschwistern hatte er kaum. Sie trafen sich an den Festtagen und gratulierten telefonisch an Geburtstagen. Das fand ich traurig, denn trotz meiner aktuellen Familiensituation, konnte ich doch behaupten, in einer intakten Familie groß geworden zu sein. Ich konnte es mir nicht vorstellen alleine aufzuwachsen, ohne Vater, ohne Mark. Es berührte mich und stimmte mich nachdenklich. Ich wünschte Alex‘ Vergangenheit wäre anders verlaufen, aber ihm schien das wirklich nicht allzu viel auszumachen. Wahrscheinlich konnte ich es mir einfach nur nicht vorstellen wie es wäre. Schließlich war ich in einer Großfamilie aufgewachsen. Ich hatte außer meinen Eltern und meinem Bruder auch noch meine Großeltern. Es war immer viel los, früher. Trotzdem begann ich die Ruhe und Zweisamkeit mit meiner Mutter in unserem gemütlichen Heim zu genießen. Carol war immer für mich da, egal was ich verbrochen hatte, egal in welchen Schwierigkeiten ich steckte, egal wie meine Stimmungen waren, sie wusste, wie sie mit mir umgehen musste, um mein Leben erträglicher zu machen. Sie kannte mich besser als ich mich selbst und das war gut so.
Auch nach der Schule glichen sich die Tage. Ich kam nach Hause, säuberte das Katzenklo, stellte frisches Wasser und Futter für Moony bereit, aß etwas, kauerte über meinen Hausaufgaben, sah ein wenig fern, tratschte etwas mit Carol, verzog mich in mein Zimmer und kuschelte mich ins Bett, um in meine Träume zu versinken. Meine Tagträume handelten meistens von William.
Um nicht den Verstand zu verlieren, maßregelte ich mich selbst. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ein gutaussehender, attraktiver, wunderschöner Junge sich gerade für mich interessieren könnte. Ich war keine typische Schönheit, kein Vergleich zu Emily. Ungeschickt und schüchtern. Am wohlsten fühlte ich mich in gemütlich sportlichen Jeans und Shirts. Mit meinen Haaren konnte ich nicht umgehen, trug sie meistens offen oder band sie zu einem lockeren Zopf.
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