bright darkness - strahlende Dunkelheit (German Edition)
Meine Fingernägel waren kurz, weil ich permanent nervös daran herum zupfte. Ich war ein Mensch von der einfachen Sorte, konnte nichts besonders gut und hatte wechselnde Interessen, was mich daran hinderte, etwas Angefangenes zu Ende zu bringen. Zum Beispiel meine Gitarre. Ich lernte als Kind auf ihr zu spielen, hab‘ den Unterricht abgebrochen und nie wieder weitergemacht. Ich war im Ballettunterricht und brach nach kurzer Zeit ab. Volleyball, dasselbe. Judounterricht, mit acht Jahren. Länger als ein halbes Jahr hielt ich damals schon nicht durch.
In der Schule versuchte ich so oft wie möglich in seiner – Williams - Nähe zu sein um einen Blick seiner unwahrscheinlich traumhaft schönen Augen zu erhaschen. Ich war angespannt, wenn er nicht zu sehen war und nervös in seiner Gegenwart. In der Cafeteria saß er zusammen mit Jeremy ungefähr fünf Tische weit von uns entfernt. In Englisch saß er direkt hinter mir, und in jeder einzelnen, zu schnell vorübergehenden Stunde, fühlte ich seinen durchdringenden Blick in meinem Rücken, was mir nicht unangenehm war, meinen Blutdruck aber immer aufs Neue ansteigen ließ. Allein schon der Gedanke daran, einen Versuch zu starten ihn anzusprechen, ließ mein Herz so stark pochen, dass ich befürchtete, er könnte es hören. Ich wünschte mir, er würde mich ansprechen. Aber warum sollte er das tun? Diese andauernd auflodernde, niemals in Erfüllung gehende Hoffnung musste ich jedes Mal mit strenger Disziplin unterdrücken. Dieser Traum konnte nicht wahr werden. Ich war nicht Cinderella, die von ihrem Prinzen mit auf sein Schloss genommen wurde. Ein ungeheuer gutaussehender und obendrein noch beliebter Traummann hatte genügend Chancen, hübsche, attraktive Frauen kennenzulernen. Warum sollte er ein unbedeutendes, unsichtbares Mädchen wahrnehmen? Ja, ich war unsichtbar, und Unsichtbare konnte man erfahrungsgemäß nicht sehen. Hm, ich war schlichtweg mikroskopisch klein, der kleinste Punkt unter Millionen. Furchtbar, ich existierte fast nicht. Konnte es sein, dass ich gar nicht da war? Bildete ich mir gar nur ein zu leben, zu atmen, zu denken? Was wäre, wenn mit dem nächsten Lidschlag alles dunkel und nie wieder hell werden würde? Was wäre, wenn ich einfach die Luft anhielte und nicht mehr atmen würde? Was wäre, wenn ich einfach für immer in meinem sicheren Bett verschwunden bliebe, fern ab von der riesigen, mit erdrückenden Hochhäusern und grauen Beton übersäten, nach Abgasen stinkenden, ewig hektischen Hölle. Meiner persönlichen Hölle, in der ich unsichtbar war. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich würde irgendwann komplett von der Bildfläche verschwinden und in der Schule zur Gruppe keine Ahnung wer die eigentlich ist zählen oder ich würde endlich sichtbar werden.
Möglicherweise konnte Velisa mir helfen. Sie war deutlich unübersehbar, ein bisschen zu knallig für meinen Geschmack, aber mit Sicherheit nicht unsichtbar. Mein leerer Kleiderschrank verlangte sowieso schon nach ein paar neuen Sachen. Vor dem Umzug hab‘ ich meine alten Klamotten aussortiert um Gepäck zu sparen. Alleine losziehen traute ich mich noch nicht, und Carol war zu beschäftigt, um mit mir einkaufen zu gehen. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich meine neugewonnene Freundin bitten, mir einige Modetipps zu geben.
Die vergangene Woche strapazierte ganz schön meine Nerven. Nicht nur, dass ich in Mathe eine Prüfung vermasselte, mussten wir in Englisch einen Aufsatz über Stolz und Vorurteil schreiben, was nicht das Problem war. Ich mag das Buch und könnte seitenweise darüber schreiben. Dass aber ausgerechnet ich aufgerufen, wurde um es vorzulesen, war wieder mal typisch. Zweifelsohne machte ich mich zur Idiotin als ich puterrot und mit zitternder Stimme meinen Aufsatz nicht vorlas, sondern vorstotterte. Als Krönung stolperte ich auf dem Rückweg zu meinem Tisch über eine herumliegende Schultasche, sodass ich mich mit den Händen an einer Schulbank abstützen musste, um nicht am Boden zu landen. Meine sowieso schon rot angelaufenen Wangen färbten sich dunkelrot.
„Hoppla“, stichelte Emily schadenfroh grinsend. Die anderen, Velisa Jason und sogar William, kicherten verstohlen. Bei Velisa und Jason wusste ich, dass es nicht böswillig war, was man von den anderen nicht behaupten konnte. Mit ihnen konnte selbst ich über meine Schusseligkeit herzhaft lachen, wenn wir unter uns waren. Vor der ganzen Klasse war das was anderes. Am liebsten wäre ich im Erdboden
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