Bring mich heim
Lautstärke.
»Habe?«
»Habe«, erzählte sie. »Seit einem Jahr nicht mehr.« Sie brach den Blickkontakt ab. Starrte nun auf ihre Finger, mit welchen sie nervös spielte.
Neugierig fragte ich weiter. »Wie das? Und was?«
Diese Frage war ihr wohl nicht ganz geheuer. Sie setzte sich aufrechter hin. Lehnte sich zurück. Lehnte sich wieder nach vorne. Mit ihrer rechten Hand knetete sie ihren Nacken. »Ich ... ich.« Sie überlegte. Atmete einige Male ein und aus. »Ich hatte keine Zeit mehr«, sagte sie rasch.
Ich verstand in gewissen Situationen ihr Verhalten nicht. Gerade noch freudig. Dann eine Frage wegen eines bescheuerten Instrumentes, und ihre Laune war im Keller.
Mia zeigte mir ein sichtlich gefälschtes Lächeln und warf ein, bevor ich weiter nachhaken konnte: »Los, zeig schon, was du kannst.«
»Wünsche?«
Sie verneinte. »Spiel einfach, was du willst. Was du gut kannst. Irgendetwas.« Mia machte es sich in ihrem Sitz bequem, schloss die Augen. Sie öffnete sie wieder und lächelte mich an. »Danke.«
»Mach ich gerne.«
Ich packte die Gitarre aus dem Case aus. Stimmte sie noch schnell. Wahllos spielte ich Lieder gemischt mit Melodien, welche mir einfielen.
Ich machte mit Sicherheit bereits eine Stunde Musik für sie. Somit dachte ich, Mia wäre eingeschlafen. Sie war die ganze Zeit extrem ruhig. Ihre Bewegungen beinahe nicht sichtbar. Ich fing gerade mit Staring at the Sky an, da hörte ich sie leise mitsingen. Mias Stimme faszinierte mich ja bereits, wenn sie nur sprach. Aber wenn sie sang, bekam ich Gänsehaut. Es war wundervoll, ihr zuzuhören. Bei der zweiten Strophe setzte ich mit ein. Doch sie hörte auf, als sie bemerkte, dass ich mit ihr mitsang. Riss die Augen auf und hielt sich die Hände vor den Mund. Es war ihr unangenehm. Ich zupfte die Melodie weiter und sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dass du dieses Lied kennst.«
Mia sagte kein Wort, sondern war kreidebleich. »Atmen, Kleine, du singst wunderschön. Ich mag deine Stimme.«
Ihre Hände ließ sie von ihrem Gesicht fallen. Im Schoß blieben sie liegen. Ich legte die Gitarre zur Seite, deutete ihr, dass sie ein- und wieder ausatmen sollte. Sie kämpfte damit, bis sie schließlich meine Augen fand und mit mir einstieg. Schnell hatte sie sich beruhigt.
»Geht es wieder?«, fragte ich besorgt.
»J ... Ja, geht wieder«, sagte sie zittrig. »Du ... ich habe nicht bemerkt, dass ich mitgesungen habe«, erklärte sie.
Ich schüttelte meinen Kopf. »Du kannst ruhig mitsingen. Wie bereits gesagt, deine Stimme klingt verdammt genial.« Ihre Wangen bekamen leicht Farbe. »Komm, lass es uns noch ein weiteres Mal gemeinsam versuchen.«
»Nein, Samuel ich sollte wirklich nicht singen.« Sie wich mir abermals aus.
»Bitte, Mia. Ich würde gerne nur dieses eine Lied mit dir singen. Danach lasse ich dich in Ruhe.« Mit meinem Lächeln versuchte ich, sie zu überzeugen. Jedoch schüttelte sie nur ihren Kopf. Ich beugte mich vor, weil ich ihre Hand nehmen wollte. Doch so schnell konnte ich nicht mal hinsehen, waren diese hinter ihrem Rücken versteckt. Warum tat sie das immer?
Ich versuchte es noch ein weiteres Mal »Komm, Mia. Ein Lied. Du wirst sehen, es wird dir Freude machen.«
Kurz überlegte sie. Sah mich an, dann wieder weg.
»Okay, aber nur dieses eine.«
Kapitel 25
Mia – Darf ich fühlen?
Richtung Rom, Juni 2012
Oh nein, warum hab ich nur gesagt, dass ich mit ihm mitsinge. Ich habe vor einem Jahr mit all dem aufgehört. Das Klavier, welches nun im Wohnzimmer verstaubte, hatte ich das letzte Mal im April 2011 angefasst. So wie vieles andere. Wenn niemand zuhörte, sang ich gerne dazu. Jedoch, nachdem ich vom Krankenhaus damals heimgekommen war, war ich zu müde für alles. Meine Glieder zu steif. Es machte einfach keine Freude mehr. Bis zu diesem Tag hatte ich auch kein richtiges Bedürfnis zu singen.
Ich bemerkte noch nicht einmal, dass ich begonnen hatte. Es fühlte sich so natürlich an. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mich in einem Wach-Schlafzustand befand. Die Gitarre lullte mich ein. Wenn Samuel nicht zu singen begonnen hätte, wäre es mir nie aufgefallen. Seine Stimme erschreckte mich. Nicht, weil er nicht singen konnte. Nein, genau das Gegenteil. Der Gesang harmonierte perfekt mit dem Lied, mit dem Instrument. Und zugegebenermaßen klangen meine und seine wie füreinander bestimmt. Deshalb stoppte ich so abrupt.
Es fühlte sich gut an.
Es fühlte sich zu gut an. Ein Gefühl, welches ich nicht mehr kannte.
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