bringen alle in Schwung
soll euch Spaß machen.“
Sie zeichneten und malten, und es machte ihnen Spaß, aber die künstlerischen Begabungen waren dünn gesät. Hanni und Nanni klecksten vergnügt mit ihren Plakafarben, aber sie wussten beide, dass sie im Kunstunterricht nie einen Preis gewinnen würden. Ihre Begabungen lagen eher auf sportlichem Gebiet. Anja zeichnete die Blüten und Gräser erst mit Bleistift, dann kolorierte sie sie ganz zart mit Aquarellfarben. Am Ende der Stunde strahlte Frau Walker. Sie hatte ein neues Talent entdeckt.
„Sehr schön“, sagte sie, „sehr gut, Anja. Du hast sicher früher schon viel gemalt, nicht wahr?“
Anja nickte.
„Ja. Meine Mutter war ausgebildete Grafikerin. Sie hat zwar nicht in ihrem Beruf gearbeitet, aber sie hat mit mir gezeichnet. Vielleicht habe ich ein bisschen von ihrem Talent geerbt ...“
Die Mädchen fanden es toll, dass Anja zeichnen konnte. Es ist sicher ungerecht, dass eine Schülerin, die Superleistungen in Mathematik bringt oder in Latein oder in Chemie, dass so ein Mädchen leicht als Streberin betrachtet wird und oft als langweilig gilt. Das ist ungerecht, denn die Begabungen und Interessen sind nun mal verschieden verteilt. Aber es ist so. Ein Mädchen dagegen, das malen oder singen oder ein Instrument spielen kann, ein Mädchen, das im Sport besondere Leistungen bringt - so ein Mädchen wird meistens bewundert.
Anja war nicht nur eine gute Zeichnerin, sie war auch nett und kameradschaftlich, und nach einer Woche war sie keine Neue mehr, sie gehörte dazu. Während der Turnstunde, von der sie natürlich befreit war, saß sie in ihrem Rollstuhl, schaute zu und zeichnete Karikaturen von den Mädchen. Bobby mit ihren langen, schlaksigen Beinen auf dem Barren, Hanni, die gute Tennisspielerin und schlechte Springerin, beim Weitsprung mit dem Kopf im Sandkasten, Nanni als Bündel Elend an der Kletterstange - dabei konnte sie schwimmen wie kaum eine ihrer Altersgruppe, und im Handball gehörte sie auch zu den Besten.
Die Mädchen lachten sich halb tot, wenn sie nach dem Sport, heiß und verschwitzt, Anjas Zeichnungen begutachteten. Anja traf immer das Typische und Komische. Aber sie wurde nie verletzend. Hanni als Pfannkuchen im Sand war lustig. Elli dagegen, die sich bei allen Sportarten gleich ungeschickt anstellte, zeichnete sie niemals. Sie wusste, wie weh es tut, wenn wirkliche Schwächen verspottet werden. Darum traf ihr Witz und ihr vergnügter Spott nur die Starken, die auch mal über sich selbst lachen konnten.
Wenn Hanni und Nanni nachmittags in den Ort fuhren, um etwas einzukaufen oder sich im italienischen Café mit Eis vollzustopfen, fragten sie Anja jedes Mal, ob sie nicht mitkommen wollte. Es machte ihnen nichts aus, gelegentlich mal mit dem Bus zu fahren anstatt mit dem Rad. Bergab rollte der Rollstuhl von selbst, und auf dem Heimweg waren genug Lindenhoferinnen da, die beim Schieben geholfen hätten. Aber Anja lehnte meistens ab. Nicht weil sie sich gescheut hätte, die freundschaftliche Hilfe anzunehmen. Ihr fehlte einfach die Kraft. Es ist ein Unterschied, ob man auf zwei gesunden Beinen morgens zum Frühstück die Treppen hinunterrennt und nachher wieder hinauf, dann ins Klassenzimmer, zwischendurch mal aufs Klo, zum Essen, durch den Garten und so weiter, oder ob man all das an Krücken oder im Rollstuhl bewältigt.
Anja brauchte ihre Kraft für den Alltag. Aber sie fing an, glücklich zu sein. Nicht so unbeschwert und rundherum glücklich wie Hanni oder Nanni oder Jenny oder die anderen, aber sie spürte die Herzlichkeit der neuen Freundinnen, sie fühlte sich wohl in Lindenhof. Sie konnte nicht vergessen, dass sie keine Eltern mehr hatte, dass sie ein gelähmtes Bein hatte. Doch sie lernte nach eineinhalb Jahren wieder zu leben und zu lachen. Sie schrieb fröhliche Briefe an ihre Großmutter. Und wenn sie das Bild der Eltern auf ihrem Nachttisch anschaute, kamen ihr nicht mehr gleich die Tränen. Sie weinte nicht mehr so oft; nur noch manchmal, irgendwann zwischen Mitternacht und drei Uhr früh, wenn sie aufwachte und nicht gleich wieder einschlafen konnte.
Endlich eine Mitternachtsparty!
Frau Martin war nur einen Tag länger in Lindenhof als Anja, und auch sie hatte es geschafft, die Sympathie der Mädchen zu gewinnen, trotz ihrer Körperfülle und ihrer knallbunten Gewänder, die den Spott geradezu herausforderten. Carlotta hatte schon einen Spitznamen für sie gefunden: Molly-Molly. Molly-Molly hielt einen fantastischen Deutschunterricht,
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