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Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See

Titel: Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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Der Wilde Mann war irgendwo unterwegs, um Nahrung zu suchen. Mit pochendem Herzen brach Madrun in Richtung des Geräusches auf. Eine Weile watete sie durch den Bach, in der Hoffnung, ihre Spur zu verwischen, sollte er versuchen, ihr zu folgen. Dann erklomm sie wieder das Ufer und rannte, so schnell sie es wagte.
    Der Klang der Hörner wurde lauter, zudem hörte sie das Kläffen von Hunden. Noch näher aber vernahm sie ein vertrautes, tiefes Grollen und wusste, dass der Wilde Mann sie verfolgte. Ihr erster Schrei glich einem Krächzen, und einen grässlichen Lidschlag lang fürchtete sie, vergessen zu haben, wie man menschliche Wörter bildete. Dann füllte sie die Lungen wieder mit Luft und versuchte es abermals.
    »Hilfe – helft mir!«
    Einen Augenblick herrschte Stille, danach hörte sie eine Veränderung im Gekläff der Hunde. Rasch kamen sie näher, doch auch der Wilde Mann holte auf. Keuchend hechtete Madrun nach den unteren Ästen eines knorrigen Apfelbaums, Überlebender eines längst vergessenen Obstgartens, und begann ihn zu erklimmen, hoch und immer höher, bis zu den obersten Ästen, die gerade noch das Gewicht ihres schlanken Leibes trugen, nicht jedoch das ihres Verfolgers. Den Stamm umklammernd, rief sie wieder und wieder um Hilfe.
    Der Wilde Mann kam unter aufspritzendem Wasser durch den Bach gerannt und hielt am Fuß von Madruns Baum inne. Eine lange, wortlose Weile starrte sie ihm in die Augen. Dann wurde das Kläffen der Hunde ohrenbetäubend, und er duckte sich, um sich ihnen zu stellen; das struppige Haar an seinem Hals und den Schultern richtete sich gleich dem Kamm eines Hahnes auf, als er die Zähne bleckte.
    »Lauf!«, schrie Madrun und deutete auf das Unterholz. »Lauf, oder sie töten dich!«
    Abermals schaute der Wilde Mann zu ihr empor; seine Kiefer öffneten sich, und er stieß ein beinahe menschliches Stöhnen aus. Dann, als der erste der Hunde durch das Dickicht brach, wirbelte er herum und war im Wald verschwunden.
    Die Jäger sollen ruhig glauben, dass die Hunde mich auf den Baum getrieben haben, dachte Madrun, während die Tiere unter ihr winselnd um den Stamm wimmelten. Sollten sie ruhig glauben, die Tränen flossen aus Angst vor ihnen und nicht weil sie nun, da sie sich der Rettung sicher war, das Wesen endlich bemitleiden konnte, das mehr als ein Tier, wenngleich doch nicht ganz Mensch gewesen war und sie auf seine Weise geliebt hatte.
     
    Ihren Rettern erzählte Madrun nur, sie wäre durch den Wildwald gewandelt, hätte sich von Wurzeln und Grün ernährt und wäre niemandem begegnet. Ihr Vater empfing sie voller erstaunter Freude, denn in seinen Plänen hatte ihre Hochzeit bereits deutliche Gestalt angenommen. Doch Madrun weinte immerfort, und so schickte er sie zur Genesung in die Ruhe des Klosters neben der Kirche des Heiligen Peter ins Dorf.
    Die Nonnen waren nett zu ihr, und obschon der Garten sich als nicht ganz so friedlich wie der Wald erwies, war er doch wesentlich besser als der rauchige Lärm in den Sälen ihres Vaters. Dankbar fügte Madrun sich in das tägliche Leben aus Gesang und Gebet, und ihre Erinnerungen an den Wildwald wurden blass und unzusammenhängend wie die Bilder eines Traumes.
    Als zum Mondwechsel ihre Blutungen ausblieben, tätschelten die Krankenschwestern ihre Hand und versicherten ihr, dies käme häufig vor, wenn eine Frau einen Schock erlitten habe oder so abgemagert wie Madrun sei. Durch gesundes Essen und viel Ruhe werde sie gewiss bald wieder genesen. Und tatsächlich, während der Sommer verstrich, wurde sie allmählich ein wenig fülliger, wenngleich ihre Züge nach wie vor ausgemergelt und blass wirkten. Nur ihre Blutungen im Zyklus des Mondes setzten nicht mehr ein.
    Manchmal träumte Madrun, sie befände sich wieder im Wald. Gelegentlich durchlebte sie den Schrecken der ersten Flucht vor den Angreifern von neuem, erwachte in kalten Schweiß gebadet und stammelte von Blut und Ungetümen zwischen den Bäumen. Aber manchmal zauberten ihre Träume sie zurück zu der Eiche, und sie lächelte, als sie glaubte, immer noch in den Armen des Wilden Mannes zu schlafen. Dabei streckte sie die Hände nach ihm aus, wand sich auf dem schmalen Bett und berührte sich, so wie er sie berührt hatte, bis sie wieder in friedlichen Schlaf glitt. Die anderen Mädchen im Schlafsaal der Novizinnen fragten sie, was sie denn geträumt habe, doch Madrun wusste ihnen keine Antwort zu geben.
    An einem warmen Herbsttag, kurz nach dem Fest des Heiligen Michael, ging

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