Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
empor.
»Was ist denn los?«
»Tochter des Carmelidus, ich glaube, du trägst ein Kind!«
Der Apfel löste sich aus Madruns Fingern, verfehlte den Korb und rollte über die Wiese. Nur ein krampfhafter Griff nach dem Ast bewahrte sie davor, ebenfalls zu fallen. Dann schüttelte sie den Kopf, fasste nach einem weiteren Apfel, pflückte ihn und ebenso einen dritten und vierten.
Als Madrun wieder hinabkletterte, glaubte sie beinahe, es nicht gehört zu haben. Doch die erröteten Gesichter und lebhaften Augen der anderen Mädchen zwangen sie, sich Felicias Worte zu besinnen.
»Das kann nicht sein«, begann sie leise. »Ich habe noch nie mit einem Mann das Bett geteilt.«
»Aber deine Brüste sind so rund, und dein Bauch – «
»Still!«, gebot Thea, die sich ihrer erbarmte. »Wenn sie noch Jungfrau ist, so wird die Zeit ihre Unschuld beweisen; andernfalls wird sie Madrun schlimmer beschuldigen, als ein Mensch es je könnte. Uns steht es nicht zu, über sie zu richten.«
Es ist nicht wahr… redete Madrun sich wieder und wieder ein, während sie die Körbe zurück ins Kloster trugen. Ich habe noch nie einen Mann geliebt.
Doch wie Thea gesagt hatte, die Zeit klagte sie tatsächlich an – die Zeit und die schnatternden Zungen von zwei Dutzend Frauen, die auf engstem Raum zusammenlebten und Madruns Bauch zu beobachten begannen wie ein Bauer sein frisch gesätes Feld. Und gegen Samhain war es für jeden augenscheinlich, dass die Prinzessin ein Kind erwartete.
»Es ist schlimm, aber nicht deine Schuld, Kind, wenn dich einer der skotischen Brandschatzer, die euer Lager angegriffen haben, gepackt und vergewaltigt hat, bevor du flüchten konntest«, erklärte Mutter Paterna.
»Die waren noch mit Kämpfen beschäftigt. Ich bin ihnen entkommen.«
Und fürwahr schien die Aussage von Madruns Zofe, die sich unter einen Gepäckhaufen geduckt und den Kampf bis zum Ende beobachtet hatte, zu bestätigen, dass die Männer, die Madrun nach ihrer Flucht verfolgt hatten, alsbald zurückgekehrt waren und geflucht hatten, sie wäre ihnen entronnen.
»Geflohene Sklaven und Geächtete suchen oft Zuflucht in der Wildnis. Wenn es einer von ihnen war, der dich missbraucht hat, so sag es mir, und wir hetzen ihn zu Tode!«, forderte ihr Vater sie auf.
»Ich habe seit dem Zeitpunkt meiner Flucht, bis ich gefunden wurde, an keinem Herd gegessen und bin keiner Menschenseele begegnet«, antwortete Madrun, und einige meinten, so müsse es wohl sein, denn selbst Geächtete hätten zu verhindern gewusst, dass man das Mädchen in solch einem Zustand fand.
»Warum wollt ihr mir nicht glauben?«, schrie sie. »Unterzieht mich doch der Tortur, lasst mich auf heilige Reliquien schwören, dass ich euch nicht belüge!«
Und sie schwor und wurde nicht vom Blitz erschlagen, und so waren ihre Ankläger der Wahrheit keinen Deut näher als zuvor. Im Kloster wurde gemunkelt, wenn sie mit keinem Mann geschlafen hätte, dann wäre in der Wildnis womöglich etwas viel Schlimmeres über sie gekommen, oder gar – und hier wurden die Stimmen der Novizinnen vor Aufregung brüchig – innerhalb der Mauern des Klosters.
»Wir warten, bis das Kind geboren ist«, meinten sie schließlich. »Das Kind selbst wird Zeugnis davon ablegen, ob der Vater Mensch oder Teufel ist.«
Und so setzte Madruns Schwangerschaft sich durch den Winter fort. Ihr Bauch schwoll beständig an; die älteren Frauen zählten die Monate und nickten wissend. Doch der neunte Monat seit Madruns Rettung verstrich ohne ein Zeichen des Kindes. Von da an drehte das Getuschel sich um den Incubus, der sich zu schlafenden Frauen legt, oder um den Teufel höchstpersönlich, der danach trachtet, einen Anti-Christus in die Welt zu setzen.
»Vielleicht ist es tatsächlich so«, räumte Madrun müde ein, während ihr Bauch immer größer wurde, »denn manchmal suchen mich wahrlich seltsame Träume heim…« Am nächsten Tag aber erzählte sie von einem Fürsten des Elfenvolkes, dem sie im Wald begegnet war und der sie mit Kuchen aus Sonnenstrahlen und Wein aus Mondlicht gefüttert hatte. Was durchaus der Wahrheit entsprechen mochte, bestätigten die Gerüchte; denn als man das Mädchen fand, war es am Verhungern, und gewiss würde Elfennahrung, genau wie Elfengold, bei Tageslicht verpuffen.
Der Fall kam dem Bischof zu Ohren, und er entsandte einen seiner Priester, einen gewissen Vater Blasius, um Madrun zu befragen, doch sofern sie ihm die Wahrheit anvertraute, fiel diese unter das Siegel des
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