Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Beichtgeheimnisses.
Madruns Kind wurde an Beltene geboren, jenem Tag, an dem das Volk der Elfen aus seinen Höhlen kriecht und von den Winterquartieren in die Sommerheime übersiedelt. Doch es war kein Elfenkind, dem sie das Leben schenkte; denn als es das Licht der Welt erblickte – nach einer qualvollen Nacht, in deren Verlauf die Hebammen beinahe daran verzweifelten, das Leben der Mutter oder des Kindes zu retten –, erwies es sich als groß, kerngesund und mit einem weichen, dunklen Flaumpelz überzogen.
»Des Teufels Kind«, sagte eine der Hebammen, als sie es schreien hörte.
»Mein Kind«, flüsterte Madrun. »Gib es mir!«
Die Hebammen tauschten besorgte Blicke, denn sie wollten den Säugling in den Wald bringen und ihn dort aussetzen. Das Aussetzen ungewollter Kinder war Christen zwar verboten, aber dies war gewiss kein christliches Kind.
Doch Madrun war die Tochter eines Königs, und obwohl sie während der qualvollen Geburt seltsame Dinge gestammelt hatte, sprach sie nun voller Autorität, und so zuckten sie nur die Schultern und reichten ihr den Balg. Die Gerüchte aber verstummten nicht, und nachdem Stürme in jenem Sommer die Ernte zerstörten und einem bitterkalten Winter wichen und auch die nächsten beiden Jahre äußerst regenarm blieben, begann das Volk zu murren, dass der König von Demetia schuld daran wäre, weil er eine Hexentochter und ihr dämonisches Kind beherbergte.
Madrun saß im Klostergarten und beobachtete ihr Kind beim Spielen. Aus der kleinen Kirche drangen leise Gesänge; Madrun lehnte sich an den kalten Stein und ließ sich von den Klängen emportragen. Nach Ambros’ Geburt hatte sie darum ersucht, als Novizin zugelassen zu werden, doch wenngleich ihr nach wie vor gestattet wurde, sich bei den Nonnen aufzuhalten, verweigerte der Bischof der Mutter eines derart fragwürdigen Kindes jedwedes Gelübde. Vielleicht ist es so am besten, dachte sie verträumt. Zwar hatte Madrun ihre Gesundheit wiedererlangt, doch es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, und sie konnte sich die Gebete einfach nicht merken.
Ambros kauerte auf dem Pfad und legte Muster mit den Kieseln, die er dort fand. Das dunkle Haar, das rau war wie die Mähne eines Pferdes, hing ihm in die Augen. Nach seiner Geburt war ein Großteil des Flaumes abgefallen, der seinen Leib bedeckte, mit Ausnahme eines dunklen Streifens, der entlang seines Rückgrats verlief. Behutsam legte er einen Kreis, dann ein Rechteck und andere Formen, immer und immer wieder.
Manchmal tobte er und rannte im Kreis, bis er völlig erschöpft war; an anderen Tagen hingegen frönte er stundenlang solchen Spielen wie jetzt. Obwohl er bereits fast drei Jahre alt war, hatte er noch nie ein Wort gesprochen, doch er summte leise, während er spielte. Das Geräusch besänftigte Madrun und ließ sie schläfrig werden, zudem klang es vertraut, obschon sie sich nie erinnern konnte, wo sie ein solches Summen schon gehört hatte.
Ein geflügelter Schatten huschte über den Pfad. Das Kind blickte zu dem Zaunkönig empor, der ihn verursacht hatte, und lachte. Voller Erstaunen beobachtete Madrun, wie der Vogel herabflatterte, um sich auf Ambros’ ausgestreckter Hand niederzulassen. Der Zaunkönig zwitscherte, Ambros zwitscherte zurück. Plötzlich erschrak der Vogel und flog davon.
Ambros setzte sich auf und richtete die dunklen Augen auf den Pfad. Erst da hörte Madrun die Schritte und erblickte Vater Blasius, der sich ihnen näherte. Wie immer stand sein Haar halb aufgerichtet, sodass er an einen verschreckten Vogel erinnerte, und seine Schritte wirkten zögerlich, während er kurzsichtig um sich spähte. Seine Miene aber wirkte ungewöhnlich grimmig.
»Was ist geschehen?« Madrun erhob sich, um ihm entgegenzugehen.
»Drei Landbesitzer, deren Heufelder letzten Sommer überschwemmt wurden, haben beantragt, dich wegen des Kindes als Hexe und Zauberin anzuklagen.«
Madrun bedeutete ihm zu schweigen. Weil Ambros nicht sprach, war den Menschen oft nicht bewusst, wie viel er verstehen konnte. Dann sank die Bedeutung der Worte des Priesters in ihr Bewusstsein, und sie setzte sich nieder.
»Wieso?«, flüsterte sie. »Was habe ich ihnen getan? Gewiss bin ich eine ebenso gute Christin wie jede Frau in diesem Land.«
»Du willst den Namen des Vaters deines Kindes nicht nennen.«
»Das kann ich nicht.« Manchmal besann Madrun sich des Mannes als strahlenden Jünglings, manchmal als tröstliche Erscheinung in der Dunkelheit, doch sie wusste, dass er
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