Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Base laut aus. »Wieso hat Gott es geschehen lassen?«
Natürlich, dachte Argante. Madrun war als Christin erzogen worden. Doch ihre Frage ging über Theologie hinaus.
»Gott oder die Götter?«, hakte sie verbittert nach. »Deine Geistlichen behaupten, solche Übel wären eine Strafe für unsere Sünden. Aber was immer der alte Mann verbrochen haben mag, ich kann nicht glauben, dass dieses kleine Mädchen einen solch grässlichen Tod verdient hat. Der Gott der Christen beschützt seine Gläubigen nicht, und die Götter der Römer sind mit den Legionen geflohen.«
»Zu wem willst du dann beten?«, rief Madrun aus. »Wer wird uns nun Gerechtigkeit gewähren?«
»Ich habe mich der Herrin vom See verschworen; sie verkörpert die Seele dieses Landes«, erwiderte Argante bedächtig. »Aber ich glaube, es ist an der Zeit, eine andere Macht zu wecken. Durch meinen Eid bin ich eine Priesterin der Göttin, doch durch mein Blut habe ich das Recht, den Gott im Schwert anzurufen. Zwar ist es gefährlich, dennoch will ich es wagen. Du besitzt dieses Recht ebenso wie ich, Madrun. Wirst du mir beistehen?«
Madrun starrte in die Flammen des Landhauses, in denen die Leiber der Menschen brannten, die hier gelebt hatten. Der Feuerschein verlieh ihren Wangen Farbe und widerspiegelte sich in den Tränen, die in ihren Augen glitzerten. Nach einer Weile schauderte sie und wandte sich wieder Argante zu.
»Ich wurde zwar in keiner der Künste unterwiesen, die du erlernt hast, aber ich hoffe, mein Mut ist dem deinen ebenbürtig. In Gottes Namen schwöre ich, dir beizustehen, Base, und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um dabei zu helfen, unser Land zu verteidigen.«
Madrun streckte eine Hand aus, die Argante sogleich ergriff. Wo sie einander berührten, spürte sie ein Kribbeln, und dann jenen seltsamen Wandel des Bewusstseins, der jedes Mal einsetzte, wenn sie die Aufmerksamkeit auf die Götter richtete.
»Möge die Heilige Mutter uns segnen«, flüsterte sie und fühlte Madruns wortlose Zustimmung gleich einem Echo. »Möge sie Britannien segnen!«
Das Schwert ragte aufrecht aus dem Steinaltar. Manchmal, wenn ein Luftzug die Flammen der großen Fackeln zu beiden Seiten anfachte, fing sich ihr Licht darin und widerspiegelte sich als zuckendes Flackern auf dem Steinboden, als wäre etwas, das in dem Schwert lebte, kurzzeitig erwacht. Danach war es wieder nur blanker Stahl, der zu einem Drittel im Stein des Altars steckte.
Mit durch langes Üben erworbener Geduld stand Argante davor, reglos wie das Schwert selbst. Hinter ihr scharrten Schritte auf Granit, während die anderen hereinströmten, die schwarz gewandeten Priesterinnen mit offenen Haaren und die Mädchen, die sie unterwiesen, mit dick vermummten Köpfen, um sie vor der Macht zu schützen. Im Rücken spürte Argante den kalten Druck der zornigen Blicke Everdilas, als wollte die alte Priesterin ihren Streit durch bloße Willenskraft fortsetzen.
»Das dürft Ihr nicht tun! Eure Mutter war eine größere Priesterin, als Ihr es je sein werdet, und selbst sie hat nie gewagt, die Macht zu wecken, die in diesem Schwert schlummert! Wäre ich Hohepriesterin, ich würde Euch nie und nimmer gestatten, Euch und den Rest von uns einer solchen Gefahr auszusetzen!«
»Aber das seid Ihr nicht«, hatte Argante entgegnet. Nicht, weil sie die ältere Frau herausfordern wollte – aber als ihre Herrin starb, hatten die Priesterinnen die Tochter der Herrin aus erkoren, sie zu leiten. »Und selbst wenn Ihr es wärt, bin ich durch meine Geburt Hüterin dieser Klinge!«
»Dann lasst wenigstens Eure Base aus dem Spiel. Wüsste ihr Vater darum, würde sein Zorn uns alle treffen!« Wodurch Everdila die Waffen streckte, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.
»Madrun hat ein Recht, hier zu sein. Das Schwert wird sie erkennen und ihr keinen Schaden zufügen…«
Argante hoffte, es würde so sein, während sie die jüngere Frau musterte, die auf der anderen Seite des Steinaltars stand. So wie sie selbst trug auch Madrun rote Gewänder. Die Züge unter dem leuchtenden Haar wirkten verkniffen und angespannt, die Augen zuckten unbehaglich hin und her, sooft ein Neuankömmling das Haus des Schwertes betrat. Das Bauwerk bot kaum genug Platz für sie alle; es war ein Rundbau, nach althergebrachter Weise, jedoch aus einheimischem Granit anstatt aus lehmbeworfenem Flechtwerk. Die Wände waren niedrig, die Dachsparren hingegen trafen sich gut neun Meter über ihrem Kopf.
Argante sandte dem anderen
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