Tödliche Mitgift
Prolog
J etzt, da ihr der Kerl herausfordernd in ihrem Hotelzimmer gegenüberstand, erkannte Annegret Dreyling, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Das, was ihr auf der sonnigen Piazza zwischen all den sorglos wirkenden Touristen und Studenten wie ein aufregender Zeitvertreib erschienen war, kam ihr nun nicht mehr amüsant vor. Überhaupt nicht. Was hatte sie sich dabei gedacht, diesen Mann mit auf ihr Zimmer im Guarini Palace Hotel zu nehmen?
Er hatte sie eben an der Fontana Maggiore angesprochen und auf ein Eis eingeladen. Normalerweise war es nicht ihre Art, sich mit Fremden einzulassen, aber er benahm sich wie ein Mann, der mit attraktiven Frauen umzugehen versteht. Schuld an der Situation waren eigentlich die anderen. Annegret war es nämlich allmählich leid, sich von ihrem Reisebegleiter Berry aus großen braunen Augen anhimmeln zu lassen. Und Ole, ihr frisch angetrauter Ehemann, befand sich immer noch in São Paulo und interessierte sich nicht die Bohne dafür, dass sie sich langweilte.
Mit dem Betreten des Hotelzimmers hatte sich das Verhalten ihres neuen Bekannten allerdings um hundertachtzig Grad gewendet. Erst hatte er ungeniert die Tür zum Badezimmer aufgestoßen und beim Anblick von Messing und Marmor anerkennend durch die Zähne gepfiffen. Dann war die Matratze mit dem cremefarbenen Satinüberwurf von ihm begutachtet worden, und zuletzt hatte er demonstrativ die Fenster geschlossen. Dabei hatte Annegret sie vor dem Verlassen des Zimmers extra offen gelassen, damit die kühler werdende Abendluft hineinwehen konnte.
»Es reicht«, sagte sie. »Du hast mein Zimmer gesehen, du hast die Aussicht von hier oben bewundert, und jetzt kannst du wieder gehen.« Seine Augen verdunkelten sich. Sie trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, denn sie rechnete instinktiv mit einer heftigen Reaktion aus Trotz, Unmut oder verletzter Eitelkeit.
»Nein, das werde ich bestimmt nicht tun. Da ich nun schon einmal hier bin …« Er kommentierte ihr Zurückweichen vor ihm mit dem Hochziehen einer Augenbraue. »Ach so ist das! Erst kesse Sprüche klopfen und dann einen Rückzieher machen.«
»Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich was von dir will!«, sagte sie höhnisch.
»Vorhin im Fahrstuhl sah das aber noch ganz anders aus.«
Ein Kuss, es war nur ein einziger Kuss gewesen. So lang, wie die Fahrt in den dritten Stock dauerte, und mit Zunge, aber die Wirkung auf ihre Hormone war so schnell wieder verflogen, als hätte sie ein eiskaltes Tauchbad genommen. »Ich bin verheiratet, schon vergessen? Und ein Freund von mir wohnt direkt nebenan.«
»Ein Freund von dir, interessant. Weiß dein Mann denn von ihm? Und wo ist er überhaupt? Lässt sein hübsches Frauchen so ganz allein durch Perugia spazieren.«
»Das geht dich nichts an. Verschwinde jetzt, sonst rufe ich um Hilfe.«
»Ach ja?«
Sie umrundete das Bett, um zum Nachttisch zu gelangen, auf dem ein Telefon stand. Ihr Mobiltelefon lag immer noch in ihrer Prada-Handtasche, und die hing im Kleiderschrank neben der Tür. Zu weit weg – das hatte sie nun von ihrer Leichtfertigkeit!
»Annegret, sei doch nicht so spießig! Wir wollen doch nur etwas Spaß zusammen haben.«
Sie nahm das Telefon in die Hand. Wie war noch mal die Durchwahl zur Rezeption? Und was sollte sie sagen?
»Wenn du möchtest, gehe ich wieder. So nötig habe ich es bestimmt nicht, dass ich mich einer Frau aufdrängen würde. Sag, ich soll gehen, und ich bin verschwunden …«
»Dann geh jetzt«, versuchte sie es noch einmal.
»Gar kein ›Bitte‹? Du bist doch auf einmal so vornehm geworden …«
Wie hatte sie sein Lächeln vorhin nur sexy finden können? Er trat einen Schritt auf das Bett zu, das sich nun zwischen ihnen befand, und lockerte spielerisch seine Arme und Schultern, als wollte er gleich mit dem Krafttraining beginnen. Woher wusste er überhaupt von ihren veränderten Lebensumständen? Ihr Zeigefinger schwebte unentschlossen über der Tastatur des Telefons. Sie konnte ja einfach irgendeine Nummer wählen. Vielleicht die Null oder die Eins? Annegret kam nicht dazu, sich zu entscheiden. Völlig unerwartet hechtete der Mann mit einem Satz über das Bett und schlug ihr das Telefon aus der Hand. Es flog in hohem Bogen auf den Fußboden, doch der dicke Teppichboden verschluckte das Geräusch des Aufpralls.
»Hey, überleg dir gut, was du tust!«
»Wenn ich schreie, hört es das ganze Hotel.«
»Meinst du? Was soll das überhaupt? Ich will dir doch gar nichts tun,
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