Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Umhangs vom Leib und begann mit zitternden Händen, den Kopf darin einzuwickeln. Indes regte sich eine der gefallenen Gestalten. Es war Baldulf. Stöhnend kämpfte er sich auf die Beine, dann hielt er jäh inne; seine Miene verzog sich vor Gram, als er den Jungen und den kopflosen Leichnam seines Herrn erblickte.
Hastig sah er sich um, dann humpelte er auf Oesc zu.
»Tyrs Urteil ist gegen uns ausgefallen«, krächzte er heiser. »Die Schlacht ist verloren, aber unsere Hoffnung besteht fort, solange du lebst.«
Oesc schaute auf; schwach wurde ihm bewusst, dass die meisten Männer, die sich rings um sie zu bewegen begannen, britische Rüstungen trugen. Hinter Octhas Leichnam sah er den britischen König, der ausgestreckt auf den Kissen lag, in der Hand ein Schwert, dessen greller Schein noch immer in den Augen schmerzte. Baldulf tat einen Schritt darauf zu, doch die britischen Krieger waren zu nahe. Rasch sammelte Baldulf Octhas Kette und Axt ein. Dann zerrte er Oesc auf die Beine und zog ihn mit sich fort.
Kein Windstoß regte sich.
An die Zeit, die folgte, konnte sich Oesc später kaum erinnern. Seine Wunde begann zu eitern, und das Fieber hielt ihn in Griff; an das meiste jedoch wollte er einfach nicht denken. Irgendwann fand ihn Haedwig. Was ihm im Gedächtnis blieb, war der bittere Geschmack des Kräutersuds, den sie braute, um das Fieber zu senken, während ihre Wickel und Zaubersprüche gegen die Entzündung in seinem Arm kämpften. Drei Nächte lang, erzählte man ihm später, versteckten sie sich im Wald, warteten, bis die Aufregung sich legte und dämpften sein fiebriges Gemurmel, wenn britische Suchtrupps an ihnen vorbeikamen.
An all das konnte der Junge sich nicht erinnern. Was ihm blieb, waren Bilder eines dunklen Landes und eines dunklen Sees, den er, den Namen seines Vaters rufend, entlangwanderte, bis die weise Frau mit ihrem Raben auf der Schulter durch die Schatten trat und ihn zurück ans Tageslicht geleitete.
Und während seiner gesamten Krankheit und der folgenden Reise weilte Octhas Kopf an seiner Seite. Mittlerweile befand er sich in einem Ledersack, in Lauch gepackt, um ihn vor dem Verwesen zu bewahren.
Überwiegend bei Nacht flohen sie in die Länder der Ostsachsen, wo sie ein Boot fanden, das sie über die breite Mündung des Flusses Tamesis brachte. Nun hatten sie Hengests Reich erreicht und konnten sich frei bewegen. Sie folgten der alten Römerstraße, die zwischen dem Meer und den nördlichen Hügelländern verlief. Mittlerweile war die Kunde ihrer Ankunft ihnen natürlich vorausgeeilt, und Hengest hatte eine Eskorte und eine Pferdesänfte ausgesandt, in der Oesc fortan reiste wie der britische König.
Doch Uther war tot. Sogar in ihrem Versteck hatten sie die Neuigkeit erfahren. Der Hochkönig der Briten war nach der Schlacht verschieden und hinterließ keinen Erben. Wenn die Sachsen auch die Schlacht und mit ihr den bedeutendsten ihrer Anführer verloren hatten, so blieb ihnen zumindest ebenso wie den Briten Zeit, ihre Wunden heilen zu lassen, ehe der Krieg von neuem begann. Noch besser war das Gerücht, dass Merlin, jener Hexer, der mit seiner Magie eine solche Verwüstung angerichtet hatte, verschwunden sei.
Für Oesc begann das Leben von neuem, als sie vor der Halle eintrafen, die Hengest in den Ruinen von Cantuware errichtet hatte und er seinen Großvater erblickte, der groß und mit vom Wetter gegerbtem Gesicht wie eine sturmgepeitschte Eiche davor auf ihn wartete.
Oesc hieb auf den Übungspflock ein, der in den Schlamm des Hofes geschlagen war und zuckte, als die Holzklinge auf das Stroh traf, das den Pfosten polsterte, und die Wucht des Rückschlags die geschwächten Muskeln seines Armes durchlief. In den drei Monaten seit Verulamium war seine Wunde verheilt, trotzdem schmerzte sie noch manchmal. Seit er das Krankenbett verlassen hatte, verbrachte er die Tage in steter Bewegung: Er jagte, rannte und hackte sogar Feuerholz. Und wann immer Byrhtwold Zeit hatte, bestürmte er den alten Krieger, ihm weiteren Schwertunterricht zu erteilen.
Sein Körper bestand mittlerweile nur noch aus Knochen und Sehnen, und jeden Tag spürte er, wie sein Arm stärker wurde. Doch nichts, was er unternahm, vermochte sein Herz gegen den Schmerz zu stählen, und obwohl er jede Nacht halb tot ins Bett fiel, zu erschöpft, sich noch zu rühren, verhießen die Stunden der Finsternis Träume, aus denen er wimmernd erwachte, die Sicht von einem Schwert aus Feuer geblendet, die Wangen nass
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