Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Männer kämpfen, während der Gott und die Göttin um den Sieg ringen.« Ihr Geist stieg mit den einander bekriegenden Vögeln auf.
Dann, mit der Plötzlichkeit eines grellen Blitzes, zerriss ein Schwert des Lichts ihre Vision. Haedwig erstarrte, ihre Züge verzerrten sich zu einer Grimasse. Einen Lidschlag lang erspähte sie die Gestalt, die das Schwert hielt, in all ihrer Glorie. »Tyr kommt, Tyr kommt! Hütet Euch vor dem Schwert des Krieges!«
Licht und Finsternis prallten rings um sie aufeinander, und im selben Atemzug wurde die Vision mitsamt dem Be wusstsein hinweggefegt.
Als sie wieder hören konnte, erkannte sie, dass sie auf dem kalten Stein des Wehrgangs lag und ihr Kopf auf Octhas Arm ruhte.
»Haedwig«, sprach er mit sanfter Stimme, »hörst du mich? Kehre zurück von der dunklen Ebene und dem dunklen See. Kehre zurück zur Mittelerde; in Wodens Namen rufe ich dich! Dein Rabe wird dir den Weg weisen. Folge meinem Ruf, bis du die Nachtluft auf der Haut und die Bank unter dir spürst. Komm… komm…«
Octha rief weiter nach ihr, mit sanften, flüsternden Worten, als spräche er beruhigend auf eine widerspenstige Stute ein. Haedwig zwang sich zu atmen, das Bild des dunklen Sees wieder heraufzubeschwören und jenen inneren Ruf auszusenden, der den Raben an ihre Seite holen würde. Sie wollte einfach in jener angenehmen Dunkelheit treiben, doch Octhas Stimme blieb beharrlich, und so bewegte sie sich schmerzerfüllt auf das Tor zu und beschwor Bild für Bild die Stationen ihres Geistes herauf, die ihr den Weg nach Hause weisen würden.
Als sie wieder Herr über ihren Leib und in der Lage war, sich aufzusetzen, begann die Erinnerung bereits zu verblassen.
»Was ist?«, fragte sie, als sie die grimmigen Mienen rings um sich erblickte. »Was habe ich gesagt?«
»Du hast den Namen Tyrs ausgerufen und uns geraten, wir sollten uns vor dem Schwert des Krieges hüten«, erklärte Baldulf.
Kurz schloss sie die Augen. »Ich erinnere mich«, meinte sie schließlich. »Es gleißte in der Sonne.«
»Was hat das zu bedeuten?«, wollte Octha wissen.
»Ich beschere Euch Visionen«, entgegnete die weise Frau scharf. »Es liegt an Euch, ihre Bedeutung zu entschlüsseln.«
Dann stieg ein Stück Erinnerung in ihr auf. »Aber ich habe gehört, in den Ländern der Hunnen lebten einst mächtige Schmiede, die sieben magische Schwerter für den Gott des Krieges gefertigt haben.«
»Hier gibt es keine Hunnen«, entgegnete Colgrin.
»Wohl nicht. Aber Schwerter. Bringt Tyr ein Opfer dar, ehe ihr in die Schlacht zieht, vielleicht verschont er euch dann.«
»Tyr ist Gott der Gerechtigkeit, nicht der Gnade«, murmelte einer der Männer.
Haedwig aber schüttelte nur den Kopf und hüllte sich in Schweigen.
Die Erde erbebte unter den Schritten der Krieger, als die sächsische Armee auszog, ihrem Feind gegenüberzutreten. Unter dem großen Torbogen hallten die Tritte hohl wider, Tauben flatterten kreischend von den Gesimsen. Dann schlugen fünfhundert Speere auf ebenso viele Schilde, und der Donner hallte von der Erde gen Himmel. Oesc hatte sich den Helm übers Gesicht gezogen, um sein Gesicht zu verbergen, und sich in einen zerschlissenen Umhang gehüllt, der verdecken sollte, dass er keine Rüstung trug. Er fühlte, wie er eins wurde mit den Männern, die durch das Tor drängten. Der fesselnde Rhythmus betäubte Gedanken und Sinne und damit auch die Angst, sein Vater könnte doch noch entdecken, dass er nicht gehorcht hatte, denn er würde ihn gewiss wieder zurückschicken.
Als das Tor hinter ihnen lag, lockerte sich das Gedränge, und die Männer formierten sich zu jener Keilaufstellung, die man Eberkopf nannte. Leise hörte er durch den Donner das Geschmetter britischer Trompeten, dann mischte sich das unregelmäßige Getrommel von Hufen in den Rhythmus der Speere und Schilde. Im nächsten Augenblick krachten die britischen Reiter in die sächsische Linie, und der Donner wich dem Klirren von Stahl.
Kurzzeitig wurde Oesc von den Beinen gehoben, als die Wucht des Angriffs den Mann zu seiner Linken gegen ihn schleuderte. Dann festigte sich die sächsische Linie wieder, die Krieger packten die Speere und begannen, gegen den Feind zu marschieren.
Oesc kam gerade wieder zu Atem, als ein Reiter in einem scharlachroten Umhang die Formation durchbrach. Unbeholfen hieb er zu und hörte das Pferd aufschreien. Fast gleichzeitig stieß ein anderer Sachse nach oben; leuchtend rotes Blut spritzte, und der Reiter stürzte.
Der Junge
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