Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
nur im Krieg erlangt werden…«
Bediver hatte bereits Griffel und Tafel in der Hand und kritzelte eifrig in das Wachs. Schmunzelnd begannen auch die anderen zu arbeiten.
Nachdem sie fertig und ihre Werke berichtigt waren, hielt Fastidius sein Versprechen.
»Vor langer Zeit lebte ein Herrscher der Briten namens Brannos, ein so großer König, dass die Menschen ihn den Gesegneten nannten, was schließlich Teil seines Namens wurde – auf Britisch Bendeigid Bran. Er vermählte seine Schwester Branwen mit dem König von Hibernia, doch einer ihrer Halbbrüder war wütend, weil man ihn nicht um Zustimmung gefragt hatte, und er entstellte die Pferde des hibernischen Königs, was als entsetzliche Beleidigung galt. Brannos bezahlte eine Wiedergutmachung, und das Mädchen reiste mit dem neuen Gemahl übers Meer. Aber die Hibernier zürnten immer noch ob der Beleidigung und zwangen den König alsbald, seine Frau zu bestrafen, indem er sie zu einer Bediensteten seines Hofes machte. Doch Branwen besaß selbst ein wenig Magie, und so bildete sie einen Star aus, damit er die Kunde von ihrem Leid ihrem Bruder in Britannien überbrachte.«
Niemand schaute zu Cunorix, der hochrot angelaufen war. Artor bedeutete dem greisen Fastidius fortzufahren.
»Also zogen die Fürsten Britanniens in den Krieg – die Krieger in Schiffen, Bendeigid Brannos, indem er über das Wasser watete –, und es folgten gewaltige Schlachten und weiterer Verrat, bis die Hibernier letzten Endes besiegt wurden. Aber von den Briten überlebten nur sieben Männer und der König, den eine vergiftete Lanze an der Ferse verwundet hatte. Als Brannos erkannte, dass jenes Gift ihn bezwingen würde, erteilte er bestimmte Befehle. Und dann trennten sie, wie von ihm befohlen, ihm den Kopf vom Rumpf und nahmen ihn mit zurück nach Britannien.«
»Wie lauteten seine Befehle?«, wollte Artor wissen.
»Was ist aus Branwen geworden? «, hakte Bediver nach. Cunorix blickte nur finster drein.
»Die Prinzessin, eingedenk dessen, dass ihretwegen zwei bedeutende Völker ausgelöscht wurden, starb an Kummer. Die sieben Gefährten aber feierten sieben Jahre in einer Behausung, um ihren Gram zu vergessen, dann sieben weitere in einer anderen Behausung, um den Vögeln der Anderswelt zu lauschen, und die ganze Zeit weilte Brannos’ Kopf unverwest bei ihnen. Und nachdem diese Zeit vorüber war, öffneten sie die nach Süden weisende Tür, und wie er es ihnen prophezeit hatte, erinnerten sie sich an alles.«
Wie Fastidius versprochen hatte, war es in der Tat eine seltsame Geschichte. Oesc hatte den Eindruck, dass sie für ihn und Cunorix eine tiefere Bedeutung hatte, denn ihre Völker lebten immer noch so wie die Briten, ehe die Römer kamen. Gai starrte aus dem Fenster, wie üblich gelangweilt, wenn es nicht ums Kämpfen ging, und Bediver lauschte gebannt wie ein Kind. Was aber hielt Artor von dieser Geschichte über einen uralten König?
Er war bereits größer als Oesc, der die meisten Männer überragte. Doch im vergangenen Jahr hatte Artors Körper an Masse zugelegt und erfüllte das Versprechen der stark gebauten Knochen. Das ist kein Junge mehr, der sich von greisen Männern bevormunden lässt, dachte Oesc. Ich frage mich, wann seine Berater erkennen, dass aus dem Bärenjungen ein Bär geworden ist.
Das kalte, durch das Fenster einfallende Licht erhellte eine Gesichtshälfte des Königs, während die andere im Schatten blieb. Die Lider waren halb geschlossen, um Artors Gedanken zu verbergen, die Züge um den Mund verkniffen. Sein Vater hat meinen getötet…. sagte Oesc sich vor, aber ein anderer Teil seines Wesens wünschte sich nur, Artor möge wieder lächeln.
Er räusperte sich. »Was haben sie dann gemacht?«
»Sie haben Brannos’ Befehle befolgt. Sie brachten den Kopf zum Weißen Berg, einem geheiligten Hügel am Fluss in Londinium, und begruben ihn dort mit dem Gesicht Richtung Gallien. Bendeigid Brannos hatte ihnen erklärt, solange sein Kopf dort verbliebe, werde auch sein Geist und seine Macht dort weilen, um Britannien vor Seuchen und Zerstörung zu beschützen.«
»Also kann ein König selbst im Tod noch über sein Volk wachen…«, sinnierte Artor. Seine Züge wirkten nach wie vor ernst, seine Augen hingegen erfüllte ein merkwürdiges Licht.
»Im alten Jütland ist es auch so«, erklärte Oesc. »Wenn die Herrschaft eines Königs dort von Frieden und reichen Ernten gekennzeichnet ist, errichtet man über seinen Gebeinen einen großen Grabhügel und
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