Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Hauptstadt Britanniens gegolten, und neben jedem der nützlicheren Läden hatte es eine Weinschenke oder Taverne gegeben. Mit den Legionen waren die meisten davon verschwunden, doch seit der Hochkönig in der Stadt weilte, schienen sie wieder an jeder Straßenecke aus dem Boden zu sprießen.
Bediver, der zu jenen Knaben zählte, die nie ihren Hut vergaßen oder einen Schnürsenkel zerrissen, war der Einzige von ihnen, der seine Gürtelbörse mitgebracht hatte. Sie enthielt genug Münzen, um für sie alle in der ersten und zweiten Taverne ihres Streifzuges etwas zu trinken zu kaufen. Als sie zur dritten Weinschänke aufbrachen, hatte Cunorix etwas Geld beim Würfelspiel mit einem gallischen Seemann gewonnen. In der fünften erspielte Artor selbst beim Ringewerfen eine Runde für sie alle.
Mittlerweile waren sie alle in recht ausgelassener Stimmung. Oesc, ein kampferprobter Recke sächsischer Trinkgelage mit Bier und Met, stellte fest, dass er Wein nicht vertrug. Aber es spielte keine Rolle. Artor war ein feiner Kerl, Gai war ein feiner Kerl, und dasselbe galt für Cunorix und den Jungen. Die Dienstmägde, mit denen sie liebäugelten, waren allesamt wunderschön. Auch die Kutscher und Händler, mit denen sie tranken, waren nette Kerle, wenn man sie durch einen rosa Weinschleier betrachtete.
»Ich hab ‘ne Idee.« Oesc schlang einen Arm um Artors Schulter. »Wir nehmen dein Volk und mein Volk und lassen sie gemeinsam saufen. Soll’n sie doch Freunde werden!«
»Du bist betrunken, Oesc.« Artor hickste, dann lachte er. »Ich wohl auch. Klingt übrigens gut. Vielleicht haben so die Römer ihr Weltreich erschaffen!« Alle brachen in Gelächter aus.
Als ihnen das Geld letztlich ausging, war es schon sehr spät, und die Tavernen begannen zu schließen. Bediver war mit dem Kopf auf dem Tisch eingedöst, und Gai hievte ihn sich über die Schulter, als sie zur Tür hinauswankten. Die feuchte Nachtluft wirkte nach der alkoholschwangeren Wärme der Weinschenken erfrischend. Dennoch waren sie alle noch ein wenig wackelig auf den Beinen, als sie die ersten, leisen Schritte hinter sich hörten.
Oesc versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, indem er ihn schüttelte, sah jedoch lediglich die Sterne wirbeln. Wenn dies ein Hinterhalt war, würde er betrunken kämpfen müssen oder gar nicht.
»Herr!« ertönte Gais Stimme aus der Finsternis, wobei er die förmliche Anrede zum ersten Mal an jenem Abend verwendete.
»Ich hab’s gehört. Trag den Jungen voraus.«
Wie, fragte Oesc sich, konnte er nur so gelassen wirken?
»Artor! Mein Platz ist hier!«
»Bring Bediver in Sicherheit. Das ist ein Befehl! Cunorix, Oesc, stellt euch Rücken an Rücken zu mir auf!«
»Ich hole Hilfe!«, beruhigte Gai sein Gewissen. Dann rannte er los, und beim Geräusch seiner Schritte lösten die Angreifer sich aus der Seitengasse.
Wenigstens, dachte Oesc, während er sich gegen die Schultern der anderen lehnte, kann ich so nicht umkippen.
»Wir haben all unser Geld versoffen«, sprach Artor klar und deutlich. »Ihr werdet für eure Mühen höchstens Schläge beziehen.«
»Der schwarzköpfige Bursche da hat eine Silberschnalle, und du trägst einen Ring. Für hungrige Männer verheißt so etwas Essen und Trinken.«
Mit zusammengekniffenen Augen spähte Oesc auf die herannahenden Schemen. Sie bewegten sich keineswegs wie hungrige Männer.
»Geht in den Palast, wenn ihr hungrig seid, dort wird man euch Essen geben. Wenn ihr uns hier angreift, verletzt ihr den vom König verhängten Frieden und werdet bestraft.«
Während Artor sprach, flüsterte Cunorix Oesc ins Ohr, er sollte sich vor dem Mann auf der rechten Seite vorsehen, der ein Messer hatte, während die anderen mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet waren.
»Wieso sollte es den König kümmern, was auf den Straßen vor sich geht?«
»Glaubt mir, es kümmert ihn!«, erwiderte Artor. Sein Lachen verstummte, als die Angreifer losstürmten.
Die Räuber waren ihnen fünf zu drei überlegen, zudem nüchtern. Oesc holte tief Luft. »Woden!«, brüllte er, als der erste Schlag traf, und er hörte, wie Artor nach Brigantia rief. Der Wein hatte ihr Reaktionsvermögen beeinträchtigt, doch sie waren alle drei Krieger und hatten gelernt zu kämpfen, auch wenn die Gegner kaum zu sehen waren. Mit Fäusten und Füßen wehrten sie den ersten und zweiten Ansturm ab. Als der dritte begann, keuchten sie bereits heftig, aber der Schreck und die Anstrengung hatten den meisten Alkohol hinweggebrannt. Was
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