Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
versieht ihn mit Opfergaben, damit man sich seines Namens erinnert und er eins mit den Göttern wird.«
»Es sind die Gebeine der Heiligen und das Blut von Märtyrern, die christliche Länder beschützen!«, meldete Bediver sich zu Wort.
»Weder die Überreste von Heiligen noch ein abgetrennter Kopf scheinen das Kaiserreich vor den Heiden beschützt zu haben«, brummte Gai. »Ich vertraue lieber auf tapfere Herzen und starke Arme.«
»Vielleicht hing Brannos’ Schutz von einer anderen Art Macht ab«, meinte Fastidius beschwichtigend und griff wieder zu der Schriftrolle, die seine grammatischen Regeln enthielt.
Kalt und feucht zog der Winter sich in die Länge. Im Norden und in der Landesmitte war es eine unangenehme Jahreszeit, Stürme tobten, in denen sowohl Menschen als auch Vieh erfroren. In Londinium hingegen schien der Schneeregen sich nie in richtigen Schnee zu verwandeln. Die Bediensteten am Hof des Hochkönigs plagten sich mit der alten Heizanlage, aber auch nachdem man sie zum Laufen gebracht hatte, reichte die durch den Fußboden strömende Wärme nie ganz aus, um die kalten Luftzüge in Schach zu halten, die durch die Türritzen pfiffen. Oft vermisste Oesc die sächsischen Bauernhäuser. So finster und muffig sie sein mochten, wenigstens waren sie warm.
Aber bald wurden die Tage wieder länger, und gelegentlich zeigte sich sogar die Sonne. Am Himmel hallten die bitteren Schreie der Wildgänse auf ihrem Zug nach Norden wider. Boten brachen auf, um die Fürsten Britanniens zu einem Rat zusammenzurufen. In der Landesmitte schmolz der Schnee auf den Hügeln und in den Tälern, und die Tamesis begann anzuschwellen.
»Bin ich nun der König oder nicht?«
Oesc, der in der Hoffnung, bald wieder auf die Jagd gehen zu können, seinen Bogen ausbesserte, öffnete die Tür und spähte hinaus. Das musste Artors Stimme gewesen sein, aber er hatte sie noch nie so wütend gehört.
Nun vernahm er das Gemurmel anderer Stimmen, teils beschwichtigend, teils widersprechend.
»Schweigt still! Ihr redet mit mir, als wäre ich ein aufsässiges Kind!«
Es war Artor. Oesc legte den Bogen beiseite und marschierte hinaus, um zu sehen, was dort vor sich ging. Er stieß auf Gai, der an eine Säule gelehnt beobachtete, wie der König auf den Steinplatten des Hofes auf und ab schritt.
»Er war schon immer so, auch als wir noch Knaben waren«, erklärte Gai. »Er wird nicht oft wütend, aber wenn, dann ist es wirklich ernst. Einmal hat er mir die Nase gebrochen und mir blaue Flecke verpasst, die ich eine Woche nicht loswurde, weil er dachte, ich hätte ein Pferd schlecht behandelt. Damals war ich zwölf und er neun und ich einen Kopf größer als er.«
Oesc brauchte nicht weiter nachzufragen, ob das tatsächlich stimmte. Gai erwies sich bei den meisten Dingen als ungeschickt; ständig zerbrach er Waffen und er verschliss seine Pferde schneller als andere Männer.
»Er müsste jemandem den Schädel spalten oder aber sich eine Frau nehmen«, fügte Gai hinzu, »aber ich glaube kaum, dass er es tun wird.«
Oesc nickte. Er wusste, dass Gai mitunter die Dirnen aufsuchte, die den Soldaten dienten, und Cunorix bei den irischen Mägden Zärtlichkeit fand. Oesc selbst hatte stets gefürchtet, abgewiesen zu werden, weil er Sachse war. Welche Gründe Artor für seine Enthaltsamkeit haben mochte, wusste er nicht.
»Und was hat ihn jetzt so aufgebracht?«, erkundigte er sich.
»Die alten Männer des Rates. Sie wollten jemanden auf dem Thron hocken haben, der eine gute Figur macht, aber keinen König. Artor ist außer sich geraten, als sie dafür stimmten, sämtliche Kirchengebiete von der Besteuerung auszunehmen.«
»Will er Geld?«
»Nicht für sich selbst – für die Truppen am Wall. Dein Volk verhält sich zwar ruhig, aber die Pikten und Skoten verkörpern eine ständige Bedrohung, und die gesamte reguläre Armee, die Britannien noch besitzt, befindet sich dort droben. Die Landbesitzer schicken wenigstens Männer und Vorräte, nur die Kirche erwartet, ohne jede Gegenleistung beschützt zu werden.«
Mittlerweile hatten Artors zornige Schritte sich verlangsamt, die Röte begann allmählich, aus seinen Wangen zu weichen. »Begreifen sie es denn nicht? Dämme muss man errichten, ehe die Flut einsetzt. Wir brauchen eine Streitmacht, die Übergriffe abwenden kann, und so etwas kostet Geld.«
Wieder waren Laute der Beschwichtigung zu vernehmen.
»Ich glaube, Gott lauscht den Soldaten ebenso wie den Priestern. Ich hege keinen
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