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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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über ihr misstönendes Gekreische ertönte der Schrei einer Frau.
    »Der Rabe Britanniens ist fort! Brannos der Gesegnete hat uns verlassen; wir sind verloren!« Sogleich schlich sich ein bedrohlicher Hauch Hysterie in den Tumult der Menge.
    Artor schaute auf seine von Ton und Knochen weißen Hände hinab, dann stand er auf. Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ Oesc innerlich erstarren, denn in jenem Augenblick barg seine Miene denselben Ausdruck, den er in den Zügen der Büste gesehen hatte. Mit einer einzigen, mühelosen Bewegung sprang Artor aufs Gras hinauf.
    »Menschen Britanniens, verzweifelt nicht.« Die Stimme des Königs erklang nicht laut, dennoch weithin vernehmbar. »Der uralte König hat euch viele Jahre beschützt, nun aber ist seine Aufgabe erfüllt. Seine Überreste wurden befreit, auf dass sie im Meer, seinem Vater, ewige Ruhe finden, sein Geist aber bleibt bei mir.« Er streckte den Arm aus, woraufhin der größte der Raben aus der Luft herabkreiste und sich darauf niederließ.
    »Seht. Die Raben erkennen mein Recht an! Nun bin ich es, der Brannos sein wird; ich übernehme seine Pflicht. Bis ans Ende meines Lebens und darüber hinaus werde ich euer Beschützer sein!«
    »Ihr seid nur ein Mensch, und eines Tages werden Eure Gebeine zu Staub verfallen!«, ertönte eine heisere Stimme aus der Menge.
    Artor wandte sich um, woraufhin die Menge verstummte. »Belasst diesen Ort als Heiligtum, als Zuflucht für die Raben, denn ich sage Euch, solange die Raben auf diesem Hügel weilen, wird mein Geist über Britannien wachen!«
    »Artor Brannos!«, erscholl ein Ruf. »Artor der Gesegnete! Artor! Artor!«, stimmte die Menge mit ein.
    Mittlerweile drängten die Leute sich um Artor und erbaten seinen Segen, die Berührung seiner Hand. Oesc beobachtete die Szene mit Verwunderung und Mitleid im Herzen. Sein Gelübde, das er am Schrein abgelegt hatte, galt nur für die Dauer eines Lebens. Er hatte das Gefühl, dass dieses spontan verkündete Versprechen des Königs eine weit größere Verpflichtung darstellte als jeder Eid, den Artor anlässlich seiner Krönung geleistet haben mochte.
    Letztlich löste die Menge sich auf, und der König konnte in den Palast zurückkehren. Die Raben flogen zurück zu den Eichen, aber es dauerte lange, ehe jener fremde Blick aus Artors Augen wich.
    »Es war nur ein Schädel«, meinte Gai ausgesprochen kleinlaut, als sie durch die Tore schritten. »Und Brannos war nur eine Legende.«
    Oesc nickte. Das mochte durchaus stimmen, doch der Augenblick, in dem der Schädel – wem auch immer er gehört hatte – zu sehen war, hatte ihm gereicht, um zu erkennen, dass er größer war als der eines gewöhnlichen Menschen.

VI
    Das Fest des Lugus
    A. D. 486
     
    Kurz nach dem Beltene-Fest, im elften Jahr der Herrschaft Artors, brach Naitan Morbet, König aller Provinzen der Pikten, den ihm von Leudonus aufgezwungenen Frieden und marschierte mit einem Heer gen Süden. In diesem Jahr errangen die Barbaren viele Siege. In Gallien hatte der neue König Chlodowig seine Franken gegen Syagrius geführt und diesen Letzten der Römer bei Augusta Suessionum besiegt. In Italia herrschte der Ostrogote Theodoric als Magister Militum mit der Duldung des oströmischen Kaisers Zeno. Und in Britannien schien die Zeit der wilden Stämme wieder aufzuleben.
    Ehe Leudonus Männer zusammentrommeln konnte, um die Pikten aufzuhalten, umgingen diese seine östliche Flanke, überquerten den verfallenden Steinwall, den die Römer einst im Norden als Grenze errichtet hatten, und fielen in das Tal des Cluta ein, wobei sie alles verbrannten, was in ihrem Weg lag.
    König Ridarchus blieb genug Zeit, seine Kriegshorde zusammenzurufen, doch gegen einen so übermächtigen Feind war er machtlos. Es gelang ihm mit knapper Not, sich in die Sicherheit der Feste von Alta Cluta zurückziehen, wo er fluchend Zuflucht fand.
    Dies war kein Überfall, sondern ein sorgfältig geplanter Feldzug. Die Pikten marschierten über die alte Römerstraße und die Pässe in Richtung der reichen Selgovae-Länder und Luguvaliums, und sie ließen auf ihrem Weg eine Spur der Verwüstung zurück.
    Nach Londinium kam die Neuigkeit durch einen über und über mit Straßenstaub bedeckten Kurier, dessen Pferd tot unter ihm zusammenbrach, als er vor dem Palast eintraf. Die Schriftrolle, die er überbrachte, war ein Flehen um Hilfe, wie man es noch nie zuvor von Leudonus gehört hatte. Nachdem Gai davon erfuhr, bemerkte er, dass der König der Votadini

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