Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Tier, das gewiss wusste, wie man seinen Feinden entrinnt. Doch Oescs Fährtensucher war ein Bursche, dessen Volk schon in den Hügelländern lebte, ehe die Römer kamen, und er kannte die Tiere seiner Heimatwälder so gut wie seine eigene Verwandtschaft. Kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, sichteten sie die Beute und trieben die Pferde zur offenen Verfolgung an. Oescs Ross war das flinkste, und so ritt er außer Sichtweite der anderen, als sein Pferd einen weiten Bogen um einen umgestürzten Baum machte und dabei mit dem Huf in ein Loch geriet. Oesc spürte, wie das Tier unter ihm strauchelte, doch ehe er abspringen konnte, stürzte es bereits. Er sah dicke Äste an sich vorübersausen, dann hörte er einen krachenden Aufprall und verlor das Bewusstsein.
Als Oesc zu sich kam, hielten die Wolken den Hang eng und feucht umklammert; alles im Umkreis weniger Schritte verschwand hinter grauen Schwaden. Sein Pferd stand ein paar Fuß entfernt. Ein Vorderbein berührte kaum den Boden. Stöhnend mühte Oesc sich hoch, wankte zu dem Tier hinüber und betastete behutsam das Bein. Es schien nicht gebrochen zu sein, den Göttern sei Dank, doch das Gelenk war stark geschwollen. Als er an den Zügeln zog, folgte ihm das Pferd humpelnd auf nur drei Beinen.
Sie kamen quälend langsam voran. Das spielte jedoch kaum eine Rolle, denn Oesc musste feststellen, dass er sich verirrt hatte. Selbst wenn dieser Landstrich ihm vertraut gewesen wäre, hätten die Nebelschwaden alles fremdartig erscheinen lassen. Doch auch ohne Ziel war es besser, in Bewegung zu bleiben; irgendwohin würde sein Weg ihn führen.
Er konnte lediglich die schemenhaften Umrisse der Baumstrünke im Nebel erkennen, doch er wusste, dass der Wald hügelabwärts noch dichter wuchs. Seine einzige Hoffnung bestand darin, sich zu den kahlen, offenen Hängen emporzukämpfen, welche die Hügelkuppen krönten; dort mochte er vielleicht wieder auf den alten Pfad stoßen. Einige Sagen aus dieser Gegend sprachen von uralten Zeiten, als in den Hügeln noch Menschen lebten; damals war die Welt noch wärmer, und man kannte noch nicht den Pflug, mit dem jetzt in den Tiefländern die Erde aufgebrochen wurde. Sogar heute noch durfte Oesc darauf hoffen, einem Hirten oder Bettler zu begegnen, der durch die Hügel wanderte.
Sobald er auf den Pfad gestoßen war, konnte er diesem zurück zum Fluss folgen und sich über seine Begleiter lustig machen, die mittlerweile der Verzweiflung nahe sein mussten. Verhungern würde er bis dahin nicht; er hatte seinen Bogen bei sich, und er kannte die essbaren Frühlingskräuter. Getrennt von seinen Freunden mochte er wohl sein, aber wenigstens jagten ihn keine Feinde. Jedenfalls erging es ihm hier besser, als wenn er mit Artors Armee gezogen wäre.
Dieselben Stürme, die über Cantuware hinwegpeitschten, hatten auch vor dem Norden nicht Halt gemacht. Die Erde war durchweicht, und Artors Armee sah sich gleichermaßen den Angriffen der Elemente und des Feindes ausgesetzt. Das steigende Wasser schlug gegen die hoch gebauten Römerstraßen, Karren blieben im zähen Schlamm stecken, Tiere lahmten. Der Regen verdarb die Vorräte, die sie mit sich führten, und obschon es reichlich Wasser gab, war dies trüb und faulig. Mit diesen Hindernissen hatten sie wohl gerechnet, das machte es jedoch nicht einfacher, sie zu ertragen. Mehr als einmal wünschten die Männer, Merlin würde die Wolken hinwegzaubern, doch der Hexer war zu eigenen Geschäften im Norden unterwegs.
Die Angeln wussten wohl, in welcher Gefahr sie schwebten, und nutzten die natürlichen Gegebenheiten des Landes zu ihrer Verteidigung. Doch obwohl die Sehnen ihrer Bogen ausleierten und das Leder von Rüstung und Kleidung verrottete, drängten die Briten weiter. Bei einer Schlacht nahe den Ruinen von Lactodorum stellten sie die Eslinga-Sachsen und errangen ihren ersten Sieg. Artor ließ ihre Anführer Eide schwören und nahm Geiseln, dann sandte er sie ostwärts nach Durolipons, um das Sumpfland gegen ihre früheren Verbündeten zu verteidigen. Zwei weitere Geplänkel im Schlamm, die kaum den Namen Schlacht verdienten, konnten die Briten ebenfalls als Siege verbuchen, da es die Angeln waren, die sich zurückzogen, nachdem die Kämpfe zu Ende waren.
Artor führte seine Armee entlang der alten Legionärsstraße neben dem Fluss Dubglas. Am Tag des Pfingstfestes konnten die königlichen Streitkräfte den Rauch der Kochfeuer der Angeln in Lindum sehen, und zwar über die
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