Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
rochen.
Die ersten Reiter waren kleinwüchsige Männer mit zerzaustem Haar und dichtem Bart, doch sie wichen einem anderen Mann von der Größe eines Briten, unter dessen Plaid die goldene Kette eines Häuptlings funkelte. Scheinbar ohne jedes Zeichen zügelte er das Pony und musterte die Fremden unter gerunzelten Brauen.
»Wer ist der Anführer der Männer aus dem Süden?« Seine Aussprache wirkte kalt, die Worte jedoch erklangen klar und deutlich.
Die Hand nach wie vor zum Zeichen des Friedens erhoben, trabte der König hinter Gai hervor. »Das bin ich, Artor von Britannien. Wir suchen die Feste von Drest Gurthinmoch, König aller Pikten. Könnt Ihr uns dorthinführen?«
Der piktische Häuptling nickte. »Er hat uns ausgesandt, Euch zu suchen. Feuer und Essen erwarten Euch, außerdem«, dabei zuckten seine Lippen unter dem rostroten Schnurrbart, »trockene Kleider.«
In jener Nacht, während Artor am Feuer des Piktenkönigs Heidebier trank, dachte er, dass Drest Gurthinmochs Gastfreundschaft dessen Feindschaft mit Sicherheit vorzuziehen war. Für die steifen Muskeln war jede Bewegung schmerzhaft, doch ein warmes Feuer und ein voller Bauch wogen dies mehr als auf. Und vor allem war er froh darüber, trocken zu sein, wie es ihm der piktische Häuptling versprochen hatte.
Über ihm ragte der Giebel des Rieddaches, verborgen durch Rauchschleier, in unbekannte Höhen auf, doch unten neben dem Feuer war die Luft klar. In den westlichen Gebieten Britanniens hatte Artor bereits Rundhäuser gesehen, doch noch nie eines von solcher Größe. In römischen Landen bevorzugten Fürsten die eleganten, verputzten und bemalten Villen der Eroberer. Das Rundhaus, das den Mittelpunkt der Feste von König Drest bildete, war annähernd so breit wie die Basilika von Calleva. Die konzentrischen Stützpfeiler zierten Schnitzereien und Malereien von Zickzackmustern, Halbmonden, Kreisen und stilisierte Darstellungen von Bären, Lachsen, Bullen, Pferden und Vögeln, die er für die Totems der piktischen Clans hielt.
Meine Ahnen haben so gelebt, bevor die Römer kamen… dachte Artor. Er fühlte sich, als hätte er einen Elfenhügel betreten, auf dem die Zeit rückwärts lief und ihn in die Vergangenheit versetzte.
König Drest sprach mit ihm. Artor drehte sich zu ihm um und hielt die Hand über ein Ohr, als wäre es der Lärm und nicht die eigene Zerstreutheit gewesen, die ihm des Piktenkönigs Worte entgehen ließen.
»Es ist gut, dass meine Männer Euch gefunden haben«, erklärte Drest mit seinem kehligen Akzent. Die Sprache der Piktenfürsten war ebenso altmodisch wie ihre Hallen, ein britischer Dialekt, gemischt mit Worten einer Artor unbekannten Sprache.
»Fürwahr«, erwiderte Artor. »Das Wetter war denkbar schlecht, um sich draußen in den Sumpfgebieten aufzuhalten.«
»Nu’ ja – ich hätte Euch eher vor einer anderen Gefahr gewarnt«, gab der Pikte zurück. »Es gibt Schlimmeres als das Wetter oder die wilden Tiere, die jene Hügel durchstreifen.«
Seine Stimme hatte sich zu einem verschwörerischen Flüstern gesenkt, und Artor, der eine aufschlussreiche Geschichte witterte, lehnte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.
»In Gesellschaft einer großen, gut ausgerüsteten Armee wärt Ihr dem Bluthauberich wohl eher nicht begegnet. Aber für einsame Reisende ist er mit seinen roten Augen und den klauenartigen Fingernägeln ein Furcht erregender Anblick.«
»Und mit einem blutigen Kopf?«
Drest verzog das Gesicht. »Ist wohl eher der Kopf des Reisenden, der blutig ist, nachdem ihn dieses Unwesen mit schweren Steinen erschlagen hat und das Blut in seiner Haube als Nahrung davonträgt.«
»Der Bluthauberich ist schon furchterregend«, mischte sich einer von Drests Häuptlingen ins Gespräch. »Noch gefährlicher aber ist das Verborgene Volk, das unter den Hügeln lebt.«
»Weil sie wie Menschen aussehen«, warf ein großer Mann mit hellem Haar ein. »Nur kann ihnen das Alter nichts anhaben. Sie stehlen unsere Frauen und tauschen deren kränkliche Säuglinge gegen die ihren.«
»Besitzen sie Schätze?«, fragte Artor, der sich an einige Berichte erinnerte, die er gehört hatte. Diese Geschichten waren überall bekannt, obwohl das Elfenvolk in den römischen Landen im Schwinden begriffen schien.
»Gewiss, denn sie sind schon hier, seit die ersten Mütter unseres Volkes in dieses Land kamen. Sie sind Wesen der Nacht und der Schatten. Fängt man sie bei hellem Tageslicht, werden sie schwach und hässlich. Dann
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