Brockmann Suzanne
Ausleihservices. Es erschien Nell ziemlich trostlos, so zu leben – umgeben von dem Geschmack anderer Leute. Als sie aus dem Fenster sah, begann es gerade zu regnen.
„Wollen Sie wirklich rausgehen?“
Crashs Stimme drang von dicht hinter ihrer Schulter an ihr Ohr. Sie schrak zusammen.
Er war in eine schwarze Armeehose geschlüpft; darüber trug er ein schwarzes T-Shirt. Mit seinem dunklen Haar und seinem blassen Teint wirkte er, als sei er gerade einem Schwarz-Weiß-Film entsprungen. Sogar seine Augen wirkten heute mehr grau als blau.
„Wenn Sie möchten, kann ich uns auch Kaffee machen“, fuhr er fort. „Ich habe Bohnen da.“
„Tatsächlich?“
Seine Augen funkelten wieder amüsiert auf. „Ja. Sie denken wahrscheinlich, der Typ hat keine eigenen Möbel, dann trinkt er wohl auch Instantkaffee. Aber nein! Wenn ich die Wahl habe, mahle ich frisch. Das ist eine Angewohnheit, die ich von Jake übernommen habe.“
„Um ehrlich zu sein, wollte ich gar keinen Kaffee“, gestand Nell. Sein Blick war zu intensiv, als dass sie ihm hätte standhalten können. Stattdessen richtete sie ihre Augen zurück auf das karierte Sofa. Ihr Magen rumorte, und sie befürchtete, dass ihr gleich übel werden würde. „Vielleicht könnten wir uns ja einfach … Sie wissen schon, hinsetzen und ein wenig unterhalten?“
„Einverstanden“, erwiderte Crash. „Setzen wir uns.“
Nell ließ sich auf dem äußersten Rand des Sofas nieder, während er in dem Sessel am Fenster Platz nahm.
Sie musste daran denken, wie schrecklich es wäre, wenn irgendein fast Fremder in ihre Wohnung käme, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter nur noch ein paar Monate zu leben habe.
Nells Augen füllten sich unaufhaltsam mit Tränen. Eine entkam ihr. Nell wischte sie rasch weg, doch Crash hatte sie bereits bemerkt.
„Hey.“ Er kam um den gläsernen Couchtisch herum und setzte sich neben sie aufs Sofa. „Geht es Ihnen nicht gut?“
Es war, als würde ein Damm brechen. Sobald die Tränen einmal begannen zu laufen, würden sie nicht mehr aufhören.
Sie schüttelte wortlos ihren Kopf. Es ging ihr überhaupt nicht gut. Jetzt, da sie hier auf seinem Sofa in seinem Wohnzimmer saß, wurde ihr klar, dass sie dem Ganzen nicht gewachsen war. Sie konnte einfach nicht, konnte es ihm unter keinen Umständen sagen. Wie sollte sie ihm etwas so Furchtbares beibringen? Sie bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen.
„Nell, haben Sie irgendwelche Probleme?“
Sie antwortete nicht. Sie konnte nicht antworten.
„Hat Ihnen jemand etwas angetan?“, fragte er.
Als sie weiter schluchzte, berührte er sie, erst vorsichtig, dann entschlossener. Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran.
„Egal, was es ist, ich kann Ihnen helfen“, sagte er leise. Sie spürte, wie seine Finger zärtlich durch ihr Haar strichen. „Alles wird wieder gut – ich verspreche es.“
In seiner Stimme lag so viel Zuversicht. Er hatte keine Ahnung, dass, sobald sie den Mund öffnete, sobald sie ihm sagte, warum sie gekommen war, nichts mehr gut werden würde. Daisy würde sterben. Nichts würde jemals wieder gut werden.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Es tut mir so leid.“
„Ist schon gut“, erwiderte er sanft.
Er fühlte sich so warm an und sie sich in seinen Armen so geborgen. Er roch nach Seife und Shampoo, frisch und sauber, unschuldig wie ein Kind.
Die ganze Situation war absurd. Sie heulte sonst nie. Die ganze letzte Woche über hatte sie sich zusammengerissen. Es war ihr auch gar keine Zeit geblieben, um zusammenzubrechen. Sie hatte viel zu viel damit zu tun gehabt, Arzttermine zu vereinbaren, um weitere Meinungen einzuholen und zusätzliche Untersuchungen zu veranlassen. Außerdem hatte sie eine dreiwöchige Lesereise durch den Südwesten der USA absagen müssen. Absagen – nicht verschieben. Das war hart gewesen. Nell hatte stundenlang mit Dexter Lancaster, dem Anwalt von Jake und Daisy, telefoniert. Die rechtlichen Auswirkungen der Absage waren weitreichend. Nichts an der jetzigen Situation war leicht.
Daisy war in Wirklichkeit nicht nur Nells Boss. Daisy war ihre Freundin. Und sie war gerade erst fünfundvierzig Jahre alt! Sie hätte genauso gut noch weitere vierzig Jahre leben können. Es war einfach verdammt ungerecht.
Nell holte tief Luft. „Ich habe schlechte Nachrichten für Sie.“
Crash wurde vollkommen ruhig. Er hörte auf, durch ihre Haare zu streichen. Es schien ihr durchaus möglich, dass er auch aufgehört hatte zu
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