Brockmann Suzanne
einen Schritt zurück und sah sie mit erneut regungsloser und unnahbarer Miene an.
„Ich sehe Sie dann nachher“, sagte er zur Verabschiedung, ohne ihr dabei in die Augen zu blicken.
Nell nickte und schlüpfte in ihren Regenmantel. Er schloss die Tür leise hinter ihr, und sie fuhr im Aufzug hinunter in die Eingangshalle. Als sie auf die graue Straße hinaustrat, wurde der Regen stärker.
Der Winter nahte. Und zum ersten Mal in ihrem Leben ertappte sich Nell bei dem Gedanken, dass der Frühling sich ruhig Zeit lassen konnte.
2. KAPITEL
D u solltest nicht versuchen, ein genaues Abbild des Welpen zu zeichnen“, sagte Daisy. „Mal nicht so sehr das ab, was eine Kameralinse sehen würde, sondern eher das, was du selbst siehst … was du fühlst. “
Nell spähte über Jakes Schulter und begann zu kichern. „Jake fühlt ein Erdferkel.“
„Das ist keineswegs ein Erdferkel. Das ist ein Hund. “ Jake sah Daisy Hilfe suchend an. „Ich finde, ich habe mich gar nicht so schlecht angestellt, oder, Baby?“
Daisy küsste ihn auf den Scheitel und erwiderte: „Es ist ein wunderbares, sehr schönes … Erdferkel.“
Während Crash die Szene, die sich in Daisys Atelier abspielte, vom Türrahmen aus beobachtete, packte Jake Daisy und zog sie auf seinen Schoß. Als er begann sie zu kitzeln, fing der Welpe an zu bellen und untermalte so Daisys Gelächter.
Nichts hatte sich geändert.
Es waren inzwischen drei Tage vergangen, seit Nell Crash von Daisys Krankheit erzählt hatte. Er war sofort zur Farm gefahren, obwohl er sich vor dem Zusammentreffen mit Daisy und Jake gefürchtet hatte. Beide weinten, als sie ihn sahen. Crash stellte ihnen Frage über Frage in dem Versuch, einen Ausweg zu finden oder das Ganze doch noch als einen riesigen Fehler zu entlarven.
Wie konnte es sein, dass Daisy sterben sollte? Sie sah beinahe genauso wie immer aus. Ihre Ärzte hatten ihr zwar das Todesurteil überbracht, doch trotzdem war sie noch dieselbe Daisy – farbenfroh, ehrlich, leidenschaftlich und begeisterungsfähig.
Crash konnte sich einreden, dass die dunklen Ringe unter ihren Augen von einer durchmalten Nacht stammten. Daisy gönnte sich schließlich häufig keinen Schlaf, wenn sie eine kreative Eingebung hatte. Auch für ihren plötzlichen Gewichtsverlust ließ sich eine Erklärung finden. Crash musste sich nur einreden, dass Daisy endlich einen Weg gefunden hatte, die zwanzig Pfund zu viel an den Hüften loszuwerden, über die sie sich schon immer beschwert hatte.
Aber was er nicht übersehen konnte, waren die vielen Döschen und Flaschen mit Medikamenten, die sich auf der Küchenablage breitgemacht hatten. Schmerzmittel. Die meisten enthielten Schmerzmittel, von denen Crash sicher war, dass Daisy sich weigerte, sie einzunehmen.
Daisy hatte Crash deutlich zu verstehen gegeben, dass er, Jake und Nell lernen mussten, erst dann zu trauern, wenn sie einmal nicht mehr war. Bis dahin würde sie keine traurigen Gesichter und verheulten Augen dulden. Sie hatte schließlich keine Zeit zu verschenken. Daisy verhielt sich indes so, als sei jeder neue Tag ein Geschenk. Als würde sie in jedem Sonnenuntergang ein Kunstwerk sehen und jeden gemeinsamen fröhlichen Moment wie einen Schatz empfinden.
Dabei war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Tumor ihre Fähigkeit zu laufen, zu malen und sogar zu sprechen beeinträchtigen würde.
Aber während er sie jetzt beobachtete, war Daisy genau dieselbe wie immer.
Jake küsste sie leicht und zärtlich auf die Lippen. „Ich werde mein Erdferkel mit in mein Büro nehmen und Dex zurückrufen.“
Dexter Lancaster war einer der wenigen Bekannten, die von Daisys Krankheit wussten. Dex hatte zur gleichen Zeit wie Jake in Vietnam gedient. Allerdings war er kein SEAL; der Anwalt war bei der Army gewesen.
„Bis später, Baby. In Ordnung?“, fügte Jake hinzu.
Daisy nickte und glitt von seinem Schoß, während sie mit einer Hand ihre widerspenstigen dunklen Locken bändigte und mit der anderen an seinen grauen Schläfen verweilte.
Jake war einer jener Männer, die im Alter nur immer besser aussahen. In seinen Zwanzigern hatte er unverschämt gut ausgesehen und in seinen Dreißigern und Vierzigern war er unwiderstehlich attraktiv gewesen. Doch nun, mit Anfang fünfzig, ließen seine Lachfältchen sein Gesicht nur noch stärker und reifer wirken. Seine tiefblauen Augen blitzten vor Wärme und Witz, aber sie konnten durchaus auch derart wütend dreinblicken, dass sie Stahl zum Schmelzen
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