Brockmann Suzanne
atmen.
Doch dann sprach er. „Ist jemand gestorben?“
Nell schloss die Augen. „Dass ist mit Abstand das Schwerste, was ich jemals tun musste.“
Er zwang sie, sich aufzurichten und hob ihr Kinn an, sodass er ihr direkt in die Augen sehen konnte. Er hatte Augen, die manch einer Furcht einflößend gefunden hätte – beinahe übernatürlich hell und durchdringend. Als er sie so forschend anblickte, war ihr, als könnte sein Blick sie verbrennen. Gleichzeitig aber erkannte sie in diesen Augen seine nur allzu menschliche Verletzlichkeit.
Als sie schließlich ihren Mund öffnete, sprudelte es alles aus ihr heraus. „Bei Daisy wurde ein inoperabler Gehirntumor festgestellt. Er ist bösartig und hat bereits gestreut. Die Ärzte geben ihr noch zwei Monate – allerhöchstens. Wahrscheinlich weniger. Wochen. Vielleicht auch nur Tage.“
Wenn sie auch vorhin schon gedacht hatte, dass er still geworden war, so war dies noch nichts gewesen im Vergleich zu dem Zustand, den er nun eingenommen hatte. Weder in seinem Gesicht noch in seinen Augen war eine Regung zu entdecken. Es war, als hätte er seinen Körper vorübergehend verlassen.
„Es tut mir so leid“, flüsterte sie und streckte ihre Hand aus, um ihm sanft über die Schläfe zu streichen.
Ihre Worte oder ihre Berührung schienen ihn zurückzuholen, von wo auch immer er gewesen war.
„Ich habe das Thanksgiving-Dinner verpasst“, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr. „Als ich an diesem Morgen zurück in die Stadt kam, hatte ich eine Nachricht von Jake auf meinem Anrufbeantworter. Er bat mich, zum Essen auf die Farm zu kommen. Aber ich hatte vier Tage lang nicht geschlafen und dachte, nächstes Jahr …“ Plötzlich stiegen Tränen in seinen Augen auf. Sein Schmerz war nicht zu übersehen. „Oh mein Gott! Gott, wie hat Jake das alles nur aufgenommen? Er muss schrecklich leiden …“
Crash stand ruckartig auf und hätte sie dabei unabsichtlich fast von der Couch geschubst.
„Entschuldigen Sie mich“, sagte er. „Ich muss … Ich werde …“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie eindringlich an. „Sind die Ärzte sicher?“
Nell nickte und biss sich auf die Unterlippe. „Sie sind sicher.“
Es war erstaunlich. Er atmete einmal tief durch, fuhr mit den Händen über sein Gesicht, und im nächsten Moment war er wieder völlig Herr seiner selbst. „Fahren Sie jetzt sofort hinaus zur Farm?“
Nell wischte sich ebenfalls die Tränen aus den Augen. „Ja.“
„Vielleicht sollte ich besser mein Auto nehmen, falls ich zum Stützpunkt zurückbeordert werde. Sind Sie denn in der Lage, selbst zu fahren?“
„Ja. Und Sie ?“
Crash antwortete nicht. „Ich muss nur schnell ein paar Sachen zusammenpacken, dann komme ich nach.“
Nell stand auf. „Lassen Sie sich ruhig etwas Zeit. Kommen Sie doch einfach ein, zwei Stunden vor dem Abendessen. Dann haben Sie Gelegenheit …“
Doch wieder schien er sie gar nicht zu hören. „Ich weiß, wie schwer das für Sie gewesen sein muss.“ Er öffnete die Wohnungstür und hielt ihr ihren Mantel hin. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“
Er stand da, so unglaublich distanziert, so unerreichbar und so schrecklich allein. Nell konnte es kaum ertragen. Sie nahm ihm den Mantel ab und schloss ihn in ihre Arme. Er erwiderte ihre Umarmung nicht, sondern fühlte sich steif und unnachgiebig an. Aber sie schloss die Augen und weigerte sich, sich davon einschüchtern zu lassen. Er brauchte das. Verdammt, sie brauchte das. „Es ist vollkommen okay zu weinen“, flüsterte sie ihm zu.
Seine Stimme klang heiser, als er ihr antwortete. „Weinen ändert auch nichts. Vom Weinen bleibt Daisy auch nicht am Leben.“
„Sie weinen nicht für Daisy, sondern für sich selbst “, erwiderte Nell. „Damit Sie lächeln können, wenn Sie sie sehen.“
„Angeblich lächle ich nicht genug. Daisy sagt immer, ich würde nicht genug lächeln.“ Plötzlich schlossen sich seine Arme fest um Nell, sodass sie fast um Atem ringen musste.
Sie erwiderte seine Umarmung ebenso stark. Wenn er doch nur weinen könnte … Aber sie wusste, dass das nicht geschehen würde. Die Tränen, die in seinen Augen aufgeblitzt waren und der Schmerz, der über sein Gesicht gehuscht war, waren Ausnahmen gewesen. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er solche Gefühlsbekundungen normalerweise unter allen Umständen vermied.
Sie hätte ihn den ganzen Nachmittag über in ihren Armen gewiegt, wenn er sie gelassen hätte. Doch er trat viel zu früh
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