Brodecks Bericht (German Edition)
brav, brav», rief sie lachend und drehte sich dabei tanzend um sich selbst.
Ach, meine kleine Poupchette, manche Leute sagen, du seist ein Kind des Nichts, ein Kind des Schmutzes, ein in Hass und Grauen gezeugtes Kind. Manche werden sagen, du seist ein Kind der Schande, ein Kind, das schon vor seiner Geburt einen Makel trug. Höre nicht auf sie, meine Kleine, höre nicht auf sie. Ich sage dir: Du bist mein Kind, und ich liebe dich. Ich sage dir: Auch aus dem Grauen kann Schönheit, Reinheit und Anmut entstehen. Ich sage dir: Ich bin dein Vater. Aus Unrat wachsen manchmal die schönsten Rosen. Du bist die Morgenröte, der Tag und alle kommenden Tage, und es zählt allein, dass du ein Versprechen für die Zukunft bist. Ich sage dir: Du bist mein Glück und meine Vergebung. Meine Poupchette, du bist alles für mich.
Göbbler und ich traten gleichzeitig aus unseren Häusern und sahen beide gleichzeitig überrascht zum Himmel hinauf. In unseren Häusern ist es immer dämmerig. Sie sind für den Winter gebaut, und selbst bei hellem Sonnenschein muss man drinnen oft ein paar Kerzen anzünden, um gut sehen zu können. Als ich aus diesem Halbdunkel nach draußen trat, war ich auf hellen Sonnenschein gefasst gewesen, wie wir ihn nun schon seit Wochen täglich hatten. Aber es sah so aus, als hätte jemand eine beigegraue Decke mit schwarzen Streifen über den Himmel geworfen. Am Horizont, gegen Osten verschwanden die Gipfel der Hörni in einer dicken Wolkenmasse, die aussah, als würde sie sich nach und nach absenken und früher oder später Wälder und Hausdächer erdrücken. An manchen Stellen durchzogen Marmorierungen den zähen Brei und erleuchteten ihn flüchtig mit einem unechten gelben Licht, aber kein Donner folgte auf diese verhaltenen Blitze. Die Hitze war noch drückender geworden und schnürte einem die Luft ab.
Göbbler und ich machten uns, abermals gleichzeitig, auf den Weg. Wie Automaten gingen wir nebeneinander im Gleichschritt die staubige Straße hinunter. Der Staub sah in dem seltsamen Licht aus wie Birkenasche. Der Geruch von Hühnerkot und Federn stieg mir in die Nase, ein widerlicher Verwesungsgestank wie von alten, verfaulten Schnittblumen, die tagelang in einer Vase vergessen worden waren.
Ich hatte überhaupt keine Lust, mich mit Göbbler zu unterhalten, und unser Schweigen störte mich nicht. Ich erwartete, dass er jeden Augenblick ein Gespräch beginnen würde, aber nichts geschah. So gingen wir die Straßen entlang, wie auf dem Weg zur Kirche, wo eine Beerdigung stattfinden sollte, schweigend, weil angesichts des Todes ohnehin jedes Wort überflüssig wäre.
Je näher wir dem Gasthaus kamen, desto mehr Menschen waren auf den Straßen und in den Gassen zu sehen, sie kamen aus ihren Häusern und Toreinfahrten und schlossen sich uns schweigend an. Vielleicht redeten wir deshalb nicht, weil wir in Gedanken schon im Gasthaus waren, vor allem lag es aber wahrscheinlich am Wetterumschwung, daran, dass wir uns von der schweren Wolkendecke bedroht fühlten, die jetzt über uns war und uns an diesem Spätnachmittag winterliche Dunkelheit bescherte.
Keine einzige Frau ging mit uns. Wir Männer blieben unter uns. Dabei gibt es selbstverständlich auch bei uns im Dorf Frauen, junge, alte, hübsche und hässliche Frauen, die klug sind und nachdenken. Frauen, die uns zur Welt gebracht haben und dann zusehen, wie wir diese Welt zerstören, die uns das Leben schenken und danach manchen Anlass haben, es zu bedauern. Ich weiß nicht, warum mir in diesem Augenblick, als ich schweigend neben diesen vielen schweigenden Männern ging, dieser Gedanke kam, und ich weiß auch nicht, warum mir meine Mutter wieder einfiel. Die Frau, die es nicht mehr gibt, während ich lebe. Die Frau ohne Gesicht, die mir meines geschenkt hat.
Manchmal betrachte ich mich in dem kleinen Spiegel, der bei uns zu Hause über dem Spülstein hängt. Ich begutachte meine Nase, die Form und Farbe meiner Augen, meine Haar- und Hautfarbe, die Form meiner Lippen und meiner Ohren. Anhand dieser Anhaltspunkte versuche ich, mir die Abwesende vorzustellen, die Frau, die einst gesehen hat, wie der kleine Leib des Neugeborenen zwischen ihren Beinen erschien, die ihn an die Brust legte, streichelte, ihn wärmte und ihm Milch gab, mit ihm sprach, einen Namen für ihn aussuchte und wahrscheinlich glücklich lächelte. Ich weiß aber, dass es mir nicht gelingen wird. Niemals werde ich ihre Gesichtszüge zeichnen können, niemals werde ich ihr Gesicht vor
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