Brodecks Bericht (German Edition)
unerträglich heiß. Die alten Leute sagten, eine solche Hitze hätten sie noch nie erlebt. Sogar mitten im Wald war es glutheiß, zwischen den Felsen, wo sonst selbst im August ein kühler Hauch aus den verborgenen Gletschern in der Tiefe hochsteigt. Die Insekten kreisten wie närrisch über dem verdorrten Moosboden und rieben ihre Deckflügel aneinander. Dieses Geräusch, das so nervenaufreibend klang wie eine verstimmte Geige, drang in die Schädel der Männer, die zum Holzhacken hierherkamen, und machte sie unruhig. Die Quellen versiegten, und der Wasserstand der Brunnen war niedrig. Sogar der Staubi sah aus wie ein dünnes Rinnsal, in dem Forellen und Saiblinge zu Dutzenden starben. Das Vieh konnte kaum noch atmen. Schlaffe Euter gaben nur noch wenig bittere, durchsichtige Milch. Man hatte die Kühe in den Stall gebracht und ließ sie erst bei Anbruch der Nacht wieder hinaus. Sie lagen auf der Seite, senkten die breiten Wimpern über ihre glänzenden Augen und ließen die kalkweißen Zungen heraushängen. Man musste weit auf die Hochweiden hinaufsteigen, um ein wenig Erfrischung zu finden, und am besten waren wohl noch die Ziegen- und Schafherden mit ihren Hirten dran, die auf den Berghöhen den kühlen Wind tief einatmeten. Unten in den Straßen und Häusern drehten sich alle Gespräche nur um die brennende Sonne, und verzweifelt beobachtete man jeden Morgen, wie sie aufging und rasch in den leeren, unveränderlich blauen Himmel stieg. Man bewegte sich so wenig wie möglich und grübelte vor sich hin. Ein kleines Glas Wein stieg den Männern zu Kopf, grundlos waren sie ständig gereizt. An einer Dürreperiode ist niemand schuld, man kann keinen dafür verantwortlich machen. Und dennoch muss man seinen Zorn an irgendwem auslassen.
Damit man mich nicht falsch versteht: Ich will damit nicht sagen, dass der Vorfall sich allein deshalb ereignete, weil es in den Wochen davor bei uns so brütend heiß gewesen war und die Gedanken der Männer brodelten wie Wasser in einem Topf auf großer Flamme. Ich nehme an, dass es auch nach einem langen verregneten Sommer so geschehen wäre. Wahrscheinlich aber nicht genau zu diesem Zeitpunkt, sondern später, nicht so übereilt – als wäre der Bogen überspannt worden. Aber es wäre dennoch geschehen.
Vor einem, der nichts sagt, fürchten sich die Leute. Vor einem, der schweigend zusieht, aber nichts sagt. Wie will man herausbekommen, was er denkt? Es war nicht gut angekommen, dass der Andere die Rede des Bürgermeisters nur mit einem einzigen Wort beantwortet hatte. Als am Tag nach dem Gelage und dem Tanz die Fröhlichkeit verflogen war, fing das Gerede wieder an: über sein Lächeln, seine altmodischen Klamotten, die Schminke auf seinen Wangen, den Esel, das Pferd und die Namen, die er für sie hatte. Auch waren die Fragen noch nicht beantwortet, warum er wohl gerade zu uns gekommen war und warum er nicht wieder abreiste.
Man kann also nicht behaupten, dass der Andere in den Tagen darauf in ihrer Gunst stieg. Mit Sicherheit bin ich derjenige, mit dem er am meisten sprach – abgesehen vom Pfarrer Peiper, aber was das betrifft, habe ich nichts in Erfahrung bringen können. Der Pfarrer hat mir nicht verraten, worum es dabei gegangen war – das wenige, das er mir erzählt hat, kann jeder Leser selbst beurteilen, denn ich habe es auf diesen Seiten bereits notiert. Es sind wohl kaum mehr als zehn Zeilen. Zwar begrüßte der Andere freundlich jeden, dem er begegnete, lüftete den Hut, neigte den dicken Kopf, auf dem sich nur noch wenige lange Haare kräuselten, und lächelte, aber nie sprach er.
Und außerdem gab es da noch sein schwarzes Heft, in das er sich Notizen machte und Skizzen zeichnete. Jenes am Ende des Markttages belauschte Gespräch zwischen Dorcha, Pfimling, Vogel und Hausorn habe ich schließlich nicht erfunden! Und nicht nur diese vier Männer ärgerten sich darüber. Warum kritzelte er das alles dahinein? Wozu? Was beabsichtigte er?
Wir sollten es noch früh genug erfahren.
Am 24. August.
Und das war wirklich der Anfang vom Ende.
34
Am Morgen jenes Tages fand jeder von uns ein unter der Tür durchgeschobenes Kärtchen, das nach Rosenöl duftete. Darauf stand schwungvoll, mit violetter Tinte Folgendes geschrieben:
Heute Abend, sieben Uhr
im Gasthaus Schloss:
Porträts und Landschaften.
Man drehte und wendete das Kärtchen, beschnüffelte es und las immer wieder die spärlichen Worte. Um sieben Uhr morgens war das Gasthaus bereits voller
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