Broken Lands
waren.
Und Walker türmte sich wie ein Riese über ihnen auf.
Es war genauso wie im Lager der Fata Morgana-Kompanie. Walker war mit einem Mal riesengroß. Gigantisch. Über sein Gesicht zog sich ein Netz von feuerroten Linien, die aus breit gestreuten, ausgefransten schwarzen Flecken auf seiner Nase und seinen Wangen entsprangen. Seine Haut war knochenbleich, und seine Hände bestanden nur aus Knochen und Adern, als er sie zu zornigen Fäusten ballte.
Der Wind schob gegen sie an. Beharrlich. Fangshi!
«Das bin ich nicht», wimmerte sie. «Ich weiß nicht, was ich tun soll!»
Die Kohle in ihrer Hand war wie ein Eisklumpen, verbrannte ihre Haut mit Kälte. Sie packte sie fester, weil sie irgendwie spürte, dass die Kohle ihrem Griff entkommen wollte.
Links von ihr fingen die silbergrünen Buchstaben am Tragkabel an zu spucken und auszugehen. Nicht mehr lange, und Constantine und Ambrose würden über den Laufsteg zu ihnen kommen, um sich mit ihr, Sam und Mapp zu treffen, und dann würden Walker und Bones fünf Menschen als Geiseln halten, von denen zwei die Säulen der Stadt waren. Als ob sie noch jemand anderen bräuchten, wo sie doch schon sie, Jin, hatten.
Der letzte Buchstabe zischte und erlosch. In diesem Moment drehte sich der Himmel ein zweites Mal.
Der Anblick verursachte ihr ein Schwindelgefühl. Die Sternbilder über ihrem Kopf neigten sich westwärts, wie ein Haufen Sternschnuppen, und zwar so schnell, dass die ganze Welt nach Osten zu stürzen schien. Die Lautstärke, mit der sich Walker und Sam anschrien, wurde gedämpft, als ob Jin sie durch eine Wand hören würde.
Vom Norden strömte eine Welle niedrig hängender Wolken über den East River, einem Tsunami gleich, und schob eine dichte Nebelbank über das Wasser.
Der Wind stieß nun in Böen gegen ihren Körper und rüttelte sie tüchtig durch. Jin machte einen Schritt vom Feuer weg, außer Reichweite der tanzenden Flammenzungen, und zertrat dabei ein weiteres Gefäß, das aus ihrem Rucksack gerollt war. Der kreiselnde Wind wirbelte das Pulver in die Luft und hüllte sie in den Geruch von Kupfersalz, Tee und Orangen ein.
Fangshi .
Und dann stand Onkel Liao neben ihr.
Ich habe Halluzinationen , dachte Jin verstört.
Er war … verändert. Jin fragte sich, ob das unglaubliche Leuchten auf dem Antlitz des alten Mannes das Gleiche war, das Sam auf ihrem Gesicht gesehen hatte.
«Du bist anders», flüsterte sie.
Liao grinste. «Genauso wie du, Xiao Jin. Wenn du es nur sehen könntest. Aber wir sind, wer wir sind. Formen verändern sich, Herzen nicht. Und nun», sagte er, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und betrachtete sie mit einem Blick, der ihr so vertraut war, dass Jin sich einen Moment lang fragte, ob das alles vielleicht doch keine Einbildung war. Ob es vielleicht wirklich und wahrhaftig passierte, dass ihr Onkel wundersamerweise gekommen war, um sie alle zu retten.
Aber der alte Mann schüttelte den Kopf. «Xiao Jin, hier bist nur du. Warum also zögerst du? Dies ist tödliches Land – sterbendes Land. Du musst kämpfen, oder du wirst vernichtet. Aber du bist Fangshi , eine Meisterin der Flammen und eine Meisterin des Waidan . Diese Männer sind nichts weiter als Füchse. Du aber bist eine Tigerin. Du musst kämpfen. Du musst jetzt kämpfen.»
«Aber ich kann unmöglich eine Fangshi sein. So funktioniert Waidan doch nicht. Es gibt Rituale, nicht wahr? Man muss fasten und den richtigen Tag abwarten und dann die ganzen …»
«Die alten, mächtigen und wichtigen Traditionen, ja.» Liao neigte leicht den Kopf, eine kleine Geste des Respekts. «Sie stecken in deinem Blut, aber erst deine Taten und deine Erfahrungen können sie zu deinen Traditionen machen.» Er lächelte und beschrieb mit seiner Hand einen kleinen Bogen. «Schau dich um, Glühwürmchen. Wo bist du? Wer bist du? Du bist Chinesin, aber du bist auch Amerikanerin. Dein Waidan wird sich von meinem unterscheiden, wie sich mein Waidan von dem der Weisen aus alten Zeiten unterscheidet. Und so soll es sein. Wie sonst könnten wir uns die Techniken, die wir erlernen, zu eigen machen?»
Jin zwang sich zu einem Nicken. «Onkel, warum hast du mir nicht gesagt, was du bist und was das Buch ist?»
«Wenn du den Text gelesen und gedacht hättest, du würdest ihn verstehen, hättest du nichts verstanden. Und kein Lehrer kann dich in der richtigen Art des Lesens unterweisen, denn der Leser, der behauptet zu verstehen, versteht nichts. Aber hier bist du nun, und ohne zu
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