Brook, Meljean - Die Eiserne See
entschieden.«
»Aber aus Gründen der Sicherheit und da niemand damit rechnen wird, wären wir gern an Bord Ihres Schiffes«, sagte Temür.
Yasmeen lachte. Ein reicher, mächtiger Mann, der umziehen wollte, indem er ausgerechnet die Ceres benutzte? »Sie ist ein kleines Schiff. Sie kann nicht viel tragen. Es passt wahrscheinlich nicht einmal Ihre Kollektion von Amtstrachten hinein.«
»Wir werden nur das mitnehmen, was wir am Leibe tragen.«
»Und vielleicht werden wir in Goryeo die Schriften im Holz lesen«, sagte Nasrin. »Und durch die Blumentempel von Khmer schreiten und im heiligen Fluss baden.«
Yasmeens Kehle schnürte sich zusammen. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie konnte kein einziges Wort aus der Geschichte der Dame Khojen hören, ohne überwältigt zu werden – und es war mehr als eine Bitte. Die eisenfarbenen Fäden in Temürs Haar besagten, dass er noch einige Jahre vor sich hatte, doch viele konnten es nicht mehr sein.
»Gut«, sagte Yasmeen, dann begriff sie: »Und Ihr Mann bringt bereits die Vorräte aufs Schiff. Derjenige, den Sie meinem Proviantmeister als Führer mitgegeben haben.«
»Ja. Ihr Proviantmeister war sehr erfreut, für nichts etwas bezahlen zu müssen.«
Das war Yasmeen ebenfalls. Aber es bedeutete nicht, dass sie diesen Auftrag ohne Bezahlung erledigte. »Der Preis für die Passage – zu jedem Zielort, den Sie möchten – wird Archimedes’ Skizze sein.«
»Selbstverständlich.«
Sie warf einen Blick zu ihm, sah ihn grinsen, und flüsterte: » Fünfzig Prozent .«
»Sollst du bekommen«, versprach er.
Als die Sonne unterging, saß Yasmeen mit Archimedes an ihrer Seite auf dem Dach des Palastes und sah zu, wie der Turm fiel – er wurde nicht gesprengt, sondern von einer gedrungenen Kriegsmaschine umgeworfen, auf Hassans ersten Befehl hin.
Im Hof und draußen – überall erhob sich Jubelgeschrei über das Dröhnen der Maschine und das Rumpeln der Steine, genau wie Hassan gehofft hatte. Dann erhob sich, befeuert durch den Fall des Turmes, das Volk – auch das hatte Hassan vorausgesehen.
Aber vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, wie schnell es kommen würde, um sich Temür Agha zu holen.
Yasmeen und Archimedes hatten mit den anderen gejubelt, doch als der Jubel und die Rufe umschlugen, stand sie beunruhigt auf. Eine Menschenmenge bewegte sich auf den Palast zu, an dessen Eingang der ehemalige Gouverneur zusammen mit Hassans Ratsleuten stand.
Sie drehte sich zu Archimedes um. »Wir müssen zur Ceres . Und zwar schnell. Nasrin und Temür werden nachkommen müssen.«
Sie kehrten auf ihr Zimmer zurück, wo die Skizze lag, noch immer in Archimedes’ faltbarem Gleiter verstaut. Er klaubte ihn auf und schnallte ihn sich auf den Rücken, und, bei der Lady, Yasmeen war heilfroh, dass er ein schnell entschlossener Mann war, ein starker Mann. Er brauchte nicht stehen zu bleiben und auszuruhen, als sie durch den Palast liefen. Hinter ihnen waren Schreie zu hören, das Bersten von Steinen. Sie gelangten bei der Palastmauer an, und Archimedes zögerte nicht – er erkletterte den Lorbeerbaum nicht so schnell wie sie, aber genauso gewandt.
Die Parkanlagen hinter dem Palast lagen still. Sie waren jetzt östlich von der Kasbah , und die Menge wütete im Westhof. Doch es würde nicht lange dauern, bis sie sich auf der Suche nach Temür auch in dieses Gebiet ergießen würde.
Ein gewaltiger Schlag ließ Yasmeen sich umsehen. Die Kriegsmaschine ragte drohend über dem Palast auf, ihre schwingenden Riesenarme brachen ihn auf für die Plünderer. Auch das auf Hassans Befehl? Eher nicht. Aber vielleicht würde es dasselbe Bedürfnis erfüllen wie die Vernichtung Temür Aghas. Kanonen feuerten, zersprengten Sandsteinwände. Über dem Rumpeln und Schnaufen der Maschine waren Schreie zu hören. Dampf wallte hoch in die Luft empor, als sie sich absenkte, dann hochfuhr und wieder herunterkam und das Palastdach eindrückte wie ein Kind, das eine Weintraube zertritt.
»Oh Gott!«, hauchte Archimedes und sah nach hinten.
Yasmeen wagte es nicht, sich noch einmal umzuschauen. Die Ceres schwebte gleich außerhalb der Kasbah . Yasmeen sah sich in der Dunkelheit nach einem Tor um, einem Baum, irgendetwas, das ihnen gestattete, auf die andere Seite zu kommen. Die Mauer um den Markt herum war zu hoch, zu glatt. Ohne ein Seil schaffte Archimedes es nie dort hinauf. Yasmeen war sich nicht einmal sicher, ob sie es schaffen würde.
»Können wir ihnen Signal geben?«, fragte er.
Sie hatte
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