Brook, Meljean - Die Eiserne See
dringend etwas zu trinken. »Du hättest schlafen sollen.«
Er sah auf. Seine Augen glitzerten plötzlich – ach, was für ein schöner Mann! Sie spürte, wie sich ihre Lippen zu dem Lächeln verzogen, das unweigerlich kam, sobald sie ihn sah.
»Yasmeen«, sagte er, und seine Stimme war so rau, wie sich ihre Kehle anfühlte. Er stürzte auf sie zu, als würde er sie in seine Arme reißen wollen, bremste sich dann jedoch. »Wie fühlst du dich?«
Sie stemmte sich in eine sitzende Haltung hoch. Ihre Knie knackten. Sie erstarrte, dann ließ sie mit einem Seufzen die Anspannung hinaus. »Ich fühle mich, als müsste ich mich dringend lockern – und ich muss aufs Klo.«
»Nicht beides gleichzeitig, hoffe ich.« Sanft schob er seine Arme unter sie. »Ausgepeitscht zu werden, halte ich aus. Aber dafür habe ich dann doch nicht Abenteuergeist genug.«
Sie lachte, dann musste sie wegen der Kopfschmerzen damit aufhören. Er hob sie an seine Brust, um sie hinüber zur Toilette zu tragen, dann zitterte er plötzlich und drückte sie fest an sich.
»Ich liebe dich«, sagte er. »Bitte denke daran, wenn ich dir sage – ich habe dein Schiff übernommen.«
Yasmeen starrte ihn an. Mit seinen glänzenden Augen und den angespannten Kiefermuskeln schien er darauf zu warten, ihre Machete im Nacken zu spüren. »Du hast der Crew befohlen, sie aus Rabat rauszufahren, hoffe ich?«
»Ja.«
»In welcher Richtung sind wir unterwegs?«
»Nach Norden.«
»Haben wir uns verirrt? Ist der Navigator tot?«
Seine Anspannung begann sich zu lösen. »Nein.«
»Nun, dann ist es gut. Du hast gesagt, du würdest dich nötigenfalls hinter mich stellen, und das hast du auf die denkbar beste Weise getan.« Sie deutete zur Toilette. »Bitte!«
Bis sie fertig war, hatte er heißes Seifenwasser für sie bereit. Und verletzt zu sein, war ganz und gar nicht schlimm, wenn es dazu führte, dass Archimedes sie von Kopf bis Fuß wusch und dann langsam mit einem weichen Handtuch abtrocknete.
Er holte eines seiner Hemden, half ihr dabei, hineinzuschlüpfen, und legte seinen Arm um ihre Taille, damit sie anfangen konnten, auf und ab zu gehen.
Draußen vor den Bullaugen lag eine Hügellandschaft, die mit Schnee bedeckt war. Anscheinend waren sie weiter im Norden, als sie gedacht hatte. »Wie lange ist es her?«, fragte sie.
»Drei Tage.«
»Und Rabat?«
»Nach der Sache mit dem Palast kam es zu keinen weiteren Plünderungen mehr. Alles ist wieder ruhig, und die französische Flotte verlässt die Gewässer.«
Sie nickte, dann ging ihr auf – »Wenn ihr geflohen seid, woher weißt du das dann?«
»Ach so, ja. Ich habe zuerst Kurs auf Süden setzen lassen, dann auf Westen und dann über dem Meer zurück auf Norden. Und als wir uns der französischen Flotte genähert haben …« Er machte eine Pause, als Yasmeen hustete. »Wir leben ja offensichtlich noch.«
Sie lebten, und Archimedes wäre nie so dumm gewesen, sich der Flotte ohne einen Grund zu nähern. »Was habt ihr dort gemacht?«
»Wir hatten einen französischen Akademiker an Bord, der Teilnehmer einer Expedition gewesen war, die kürzlich in Rabat geendet hatte, und er suchte nach einer sicheren Passage zurück zu den Inseln. Mein Name war bei der Flotte natürlich bekannt –«
Sie schnaubte. »Natürlich.«
»Und als sie die Stücke gesehen haben, die wir in Brindisi geborgen haben, waren sie mehr als erfreut, sie an Bord zu nehmen – zumal Ollivier außerdem wusste, wo ein Uhrwerkmann da Vincis zu finden war.«
Es verschlug ihr den Atem. »Du hast es ihm erzählt?«
»Ja, durchaus. Denn in ein paar Tagen wird er sehr erpicht darauf sein, sich mit jemandem zu treffen, der, wie er gehört hat, ebenfalls an Bord eines Schiffes ihrer Flotte und außerdem im Besitz einer Skizze von da Vinci ist … die Ollivier als Fälschung erkennen wird. Und dann wird dieser Jemand eines sehr natürlich wirkenden Todes sterben. Ich habe Ollivier vermittelt, dass ›natürlich wirkend‹ äußerst wichtig ist.«
Al-Amazigh . Archimedes hatte arrangiert, dass Ollivier den Mann tötete, der den Tod ihrer Crew befohlen hatte, dies jedoch auf eine Art und Weise zu tun, die keinen Krieg auslöste. Und dieser Mann gehörte ihr?
Ihr stiegen Tränen in die Augen. »Danke!«
»Ich bedaure, dass du es nicht selbst tun konntest.«
»Wichtig ist nur, dass es getan ist.« Endlich. Es würde den Schmerz über den Verlust ihrer Crew, ihrer Lady nicht lindern, doch war ihr Tod nicht unbeglichen geblieben. »Und
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