Brook, Meljean - Die Eiserne See
Version dieses Gebräus zählte zu den Hauptnahrungsmitteln der Schiffer, aber wie Barker immer wieder gern erklärte, kam der Unterschied zwischen der starken Guajaca-Mischung und dem Getränk an Bord der Vesuvius dem Unterschied zwischen Sahne und Molke gleich.
Yasmeen trank beides selten, dabei hatten ihr die Bohnen einmal ordentlich Gold in den Tresor gespült. Ihrer Ansicht nach war Kaffee schlicht der Beweis, dass es in der Neuen Welt noch immer Zivilisation gab, auch nach der Flucht der Europäer und Afrikaner vor der Horde, deren Khane und Oberbefehlshaber überzeugt gewesen waren, jenseits des Urals würden einzig seelenlose Barbaren leben. Yasmeen war nicht geneigt, dieser Überzeugung zuzustimmen – es sei denn, sie trank die Barbarenpisse, die in der Neuen Welt als Tee durchging. Kaffee hingegen musste wie Barbarenpisse schmecken, und die Franzosen und die Libéré hatten um seinen Besitz und seine Besteuerung einen Krieg geführt.
Krieg und Steuern. Zwischen der Horde und der Neuen Welt lagen Meere, aber nach Yasmeens Erfahrung glichen sämtliche Zivilisationen einander in ihren Grundzügen.
Doch da sie gerade großmütiger Laune war, wollte sie das friedliche gemeinsame Frühstück nicht dadurch stören, dass sie das laut sagte.
Die Dämmerung erfüllte den Wolkenhimmel mit einem schwachen Licht, als Yasmeen auf das Oberdeck trat. Der eisige Wind peitschte ihr ins Gesicht. Sie klappte ihren schweren Kragen nach oben, zog sich den Wollschal über Nase und Mund. Die Vesuvius hatte in der Nähe des Nordkais geankert. Yasmeens Blick glitt über die wimmelnden Kaianlagen, die dahingleitenden Beiboote, die Mietruderboote.
Ein heller Farbtupfer beim Karren eines Kesselflickers fiel ihr ins Auge – ein hochgewachsener Mann in hellgrünen Hosen. Obwohl er von ihr abgewandt stand und sein Haar unter einem Hut verbarg, konnte es sich nur um Archimedes handeln.
Also war er gekommen.
Sie griff nach ihrem silbernen Zigarilloetui. Es war ihr bei der Explosion und ihrem Sturz ins Wasser als eines von wenigen Dingen geblieben, weil es an seinem üblichen Platz in ihrer Schärpe gesteckt hatte. Durch die Handschuhe dauerte es einen Moment, bis ihre Finger mit der Schließe zurechtkamen. Es waren nur noch wenige Zigarillos darin. Egal. Sie konnte sich Nachschub kaufen, sobald die Schiffsschmiedin Ivy den Tresor vom Grund des Hafenbeckens barg.
Der Zigarillo beruhigte ihre angespannten Nerven. Auf der Kaianlage schlängelte sich Archimedes zwischen den Wagen und Karren hindurch, ohne den Bootsverleih zu beachten. Fehlte es ihm an Kleingeld? Vielleicht hatten sie ihm ja nicht nur die Skizze gestohlen, sondern auch seinen Geldbeutel.
Doch nein. Er blieb bei einem Boten in einem Tragschrauber stehen, und eine Münze wechselte ihren Besitzer. Wollte er sie vielleicht benachrichtigen lassen, dass er nicht kommen konnte?
Auf den Decksplanken näherte sich jemand. Yasmeen erkannte Ivys schnelle Schritte und wandte sich zu ihr um. Das kupferrote Haar unter einer Wollmütze versteckt und die mit Sommersprossen übersäten Wangen rot vor Kälte, hatte die Schmiedin diesmal nicht ihr übliches süßes Lächeln aufgesetzt.
Stattdessen grinste sie und platzte geradezu vor Unternehmungslust. »Kann losgehen, wenn Sie wollen. Wir müssen vor dem Wassern nur dichter an den Südkai heransegeln.«
Yasmeen sah sich an Deck um. Ganz gewiss handelte es sich bei Ivys Tauchboot um eine perfekt umgesetzte, erstklassige Konstruktion, aber noch hatte das Unterwasserfahrzeug keine Testfahrt hinter sich. Wenn der Schmiedin damit etwas zustieß, dann würde Mad Machen Yasmeen in seiner Stinkwut wahrscheinlich erwürgen, weil sie die Schmiedin nicht davon abgehalten hatte. Wenn er allerdings von Anfang an dabei war, konnte er sich nur selbst Vorwürfe machen.
»Wo ist Captain Machen?«
Ivys Grinsen wurde zu einem Lachen. »Dort.« Mit einer Hand aus mechanischem Fleisch zeigte sie auf einen alten Heringskutter, der nahebei mit eingeholten Segeln trieb. »Das ist Big Thoms Bergungsschiff. Eben hat sich seinen Tauchanzug geliehen, damit er mich im Auge behalten kann, wenn ich unten bin.«
Irrsinn. Ein Tauchboot besaß ja gerade den großen Vorzug, dass es sicherer war als ein Anzug; nur hatte Eben einen Ruf aufrechtzuerhalten. Ein gefürchteter Pirat konnte nicht zugleich ein weichherziger Trottel sein, der schrecklich in eine süße Schmiedin verschossen war, und deshalb musste er unter Wasser um sie bangen, wo es keine Zeugen dafür
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