Brook, Meljean - Die Eiserne See
stimmt’s? Hast du dann wenigstens die Skizze?«
Konnte sie sehen, wie er rot wurde? Scham oder Verlegenheit kannte er kaum, doch einzugestehen, dass er sich die Skizze hatte stehlen lassen, war reine Demütigung. »Ich bin auf der Suche danach.«
»Am Boden eines Bierkrugs?«
»Einen Schatz kann man an den seltsamsten Orten finden.« Zum Beispiel auf seiner Brust kauernd.
»Wer hat sie sich unter den Nagel gerissen?«
»Wenn ich das wüsste. Aber wenn sich dieser verfluchte Dieb mit der Skizze nicht nur den Hintern abputzt, dann wird er versuchen, sie zu verkaufen. Und dann höre ich davon.«
»Such mich auf, wenn es so weit ist! Auf Wiedersehen, Archimedes Fox!«
Unvermittelt hob sich ihr Gewicht, und er setzte sich auf und versuchte blindlings, hinterherzukommen. Seine suchenden Hände bekamen gerade noch ihren Schenkel zu fassen, und er schlang seine Arme um ihre Hüften. Ihre Finger krallten sich in sein Haar, aber sie riss ihm nicht den Kopf ab.
»Yasmeen. Das mit der Geheimkammer tut mir leid. Und noch viel, viel mehr –« Er brach ab, als er spürte, wie seine Brust sich weitete, wie die Trauer von unfasslicher Erleichterung verdrängt wurde. Mit rauer Stimme schloss er: »Noch viel mehr berührt mich, dass du überlebt hast.«
Er ließ sie los. Sie hielt ihn weiterhin an den Haaren fest. »Deinetwegen, Archimedes Fox, konnte ich meine Crew nicht beschützen. Anstatt zu kämpfen, als meine Lady hinterrücks überfallen wurde, lag ich in dieser Kammer.«
Gott! Er schloss die Augen.
Schmerz durchschoss seine Kopfhaut, als Yasmeen seinen Kopf nach hinten riss und ihn zwang, zu ihr nach oben zu sehen. »Allerdings wäre ich vermutlich tot, wenn ich nicht in diesem verfluchten Versteck gelegen hätte, und dann wäre niemand da, der meine Leute rächen kann.«
Er hätte sie gerächt. Bis ans Ende der Welt hätte er die Mörder gehetzt, wenn er es gewusst hätte.
Wenn und hätte … aber nun wusste er es ja.
Entschlossenheit erfüllte ihn. »Wer war das?«
»Das weiß ich nicht. Noch nicht.«
Abrupt ließ sie ihn los. Das Kratzen eines Feuerzeugs. Die flackernde Flamme erhellte ihr Gesicht. Sie zog an dem Zigarillo, und die Spitze glomm orange auf. Er starrte Yasmeen an und war wieder völlig überwältigt von der Schönheit ihrer Wangenknochen, ihres Kinns, ihrer vollen Lippen.
Frostige Belustigung kräuselte ihr die Mundwinkel, als sie ihn von Kopf bis Fuß musterte. »Hast du Gesellschaft gehabt?«
Er sah an sich hinab. Nackt. Ach ja! Es hatte geschneit, als er zurück in die Pension gekommen war. Er war ausgerutscht und in einen Müllhaufen gefallen, und die Wirtin hatte den Gestank nicht in ihrem Haus haben wollen. Dass er die drei Treppen nun ohne einen Fetzen Stoff am Leib hinaufgegangen war, daran hatte sie offensichtlich keinen Anstoß genommen. Sie hatte ihm bis zum Schluss hinterhergesehen.
Er legte sich wieder hin, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und bot Yasmeen einen schmeichelhafteren Anblick. »Meine einzige Gesellschaft waren meine Träume von dir.«
Sie schnaubte und wandte sich zur Tür um. Der Schreck fuhr ihm in die Knochen. Nein, so schnell durfte er sie nicht wieder verlieren. Er sprang aus dem Bett, blieb jedoch verblüfft stehen, als sie sagte: »Zenobia lässt dich aus London grüßen. Du solltest sie wissen lassen, dass du noch lebst.«
Aus London – »Wie das? Wann?«
Yasmeen grinste ihn über die Schulter hinweg an. »Nimm ein Bad, Archimedes Fox! Dann komm bei Morgengrauen zu mir! Vielleicht habe ich Verwendung für einen Mann, der Eier aus Eisen und eine Silberzunge hat.«
Das konnte nur ein Traum sein. »Zu dir kommen? Wohin?«
»Wenn du darauf nicht selbst kommst, habe ich wohl doch keine Verwendung für dich.«
Bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte und er wieder im Dunkeln saß, war er darauf gekommen. Gestern Abend war die Vesuvius in Port Fallow eingelaufen. Er würde Yasmeen auf Mad Machens Schiff finden. Aber das war die leichte Frage gewesen – im Gegensatz zu derjenigen, wer zum Teufel die Lady Corsair angegriffen hatte, wenn ihr Kessel nicht von allein explodiert war? Auch das galt es herauszufinden … aber das Warum lag auf der Hand.
Sie hatten nach der Skizze gesucht.
Yasmeens Knie schmerzten nun morgens immer, als würde ihr Körper während der kurzen Nachtruhe zu den drei Wochen zurückkehren, die sie im Krankenbett verbracht hatte. Bei jedem Erwachen starrte sie an die Decke über ihrer schmalen Koje und dachte, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher