Brook, Meljean - Die Eiserne See

der Geburt von Batus Vater in Gefangenschaft geschändet worden war. Batu hatte seine Gegner zwar vernichtet, aber seinen Onkel Ögedei hatte er am Leben gelassen und zum Schutz der Halbinsel beordert, die von der Goryeo-Dynastie regiert wurde.
    Ögedeis Nachfahren vergaßen die Frage der Ehelichkeit jedoch nicht – und ihnen wurden zahlreiche Attentate auf Angehörige der Herrscherfamilie zur Last gelegt. Yasmeen hatte keine Ahnung, ob daran etwas war oder ob Ögedeis Thronfolger nicht einfach die passenden Sündenböcke darstellten.
    »Vor fünfundzwanzig Jahren«, sagte Hassan, »begann Güyük der Heuchler ein Heer in den Weißen Bergen östlich des Schwarzen Meeres zusammenzuziehen und behauptete, Ögedeis Thronerbe zu sein. Die Generäle der Horde suchten nach ihm, doch obwohl seit der Großen Plage eine neue Generation herangewachsen war, hatten sie zu wenige Soldaten für eine gründliche Suche, und Güyük konnte sich zehn Jahre lang vor ihnen verbergen – dann entsandte der Großkhan Temür, der ihn aufstöbern sollte. Güyük floh nach Nordwesten, um das Meer herum, dann nach Südosten.«
    »Richtung Konstantinopel«, sagte Yasmeen leise.
    »Selbst Temür wusste nicht, ob der Heuchler das beabsichtigt hatte oder ob die Stadt einfach nur auf seinem Weg lag, als er sich zurück Richtung Osten wandte. Sein Heer muss von der Flucht erschöpft gewesen sein, wahrscheinlich gingen ihre Vorräte zur Neige, und sie waren am Verhungern – vielleicht griff er die Stadt nur an, um seine Vorräte aufzustocken. Aber Güyük erklärte, er würde Xanadu sein königliches Blut beweisen, seine Abstammung von Dschingis Kahn, indem er eine Stadt auf dieselbe Weise plünderte wie er. Temür war nicht weit hinter ihm.«
    Hassan machte eine Pause, schlürfte seinen Tee. Obwohl kaum etwas darauf hindeutete, hatte Yasmeen den Eindruck, dass er aufgewühlt war und es sich nur nicht anmerken ließ.
    »Temür war seit Langem in eine andere Schlacht verwickelt, die jedoch mehr Vorsicht und Diplomatie erforderte – nämlich den Großkhan davon zu überzeugen, die Türme in den Besatzungsgebieten abzuschalten. Aber die Gebiete sind einträglich, darum wollte der Khan das nicht. Temür ersuchte um das Gouverneursamt für die nordafrikanischen Gebiete, doch der Khan wollte ihn in seiner Nähe haben. Die Plünderung Konstantinopels durch den Heuchler stellte jedoch eine ernstliche Bedrohung für ihn dar – nicht, dass er fürchtete, Güyük würde gegen Xanadu marschieren, aber es bestand die Gefahr, dass das Vertrauen des Volks in ihn weiter erschüttert wurde und die Unterstützung für den Aufstand wuchs – für den eigentlichen Aufstand. Also versprach der Khan Temür, ihm Marokko zu geben, wenn er den Heuchler aufhielt.«
    »Nur hat er Güyük nicht einfach gestoppt«, sagte Yasmeen. »Er hat ihn ausgelöscht , mitsamt der Stadt. In der noch immer Bürger gewesen sind – Bürger des Reiches.«
    »Ja.« Obwohl Hassan das sagte, ohne mit der Wimper zu zucken, schien sich eine tiefe Erschöpfung über ihn zu legen. »Er wollte sicherstellen, dass der Khan ihn so sehr fürchtete, dass er sein Versprechen auf keinen Fall zurückzog. Dann schickte er Nasrin aus, damit sie den Stall des Khans zerstörte.«
    »Was?« Yasmeen, die noch immer herauszufinden versuchte, was Temürs Handlungen über den Mann und seinen Charakter verrieten, rauchte jetzt endgültig der Schädel. »Hat sie es geschafft?«
    Hassan nickte. »Nahezu vollständig.«
    »Den Stall?« Archimedes beugte sich stirnrunzelnd vor. »Für seine Pferde? Das ist mir neu.«
    »Mongolen halten ihre Pferde nicht im Stall«, erklärte Yasmeen. »Es war ein Gefängnis, ein Arbeitshaus für die europäischen Mathematiker und Philosophen, die die Gebrüder Polo und der schwachköpfige Marco Tokta Khan vorgestellt hatten.« Ihr drehte sich der Kopf, und sie tastete nach ihrem Zigarilloetui. Verdammt noch eins ! Sie ballte die Faust, holte tief Luft. »Aber die sind natürlich alle längst tot und durch Kollegen aus dem Reich ersetzt worden. Sie werden die Zauberer des Khans genannt. Aber das ist das falsche Wort – da gibt es keine Zauberei, das ist nur Aberglauben. Sie sind seine Erfinder. Die klügsten Kinder in den Krippen und Dörfern werden nach Xanadu geholt – und die schlauesten von denen wiederum werden für den Stall auserwählt.« Ein goldener Käfig, ähnlich den Häusern der gan tsetseg , und die Auserwählten durften ihn nie wieder verlassen. »Der Stall steht der