Brook, Meljean - Die Eiserne See
waren immer so ernsthaft. Es war nur ein Scherz auf ihre Kosten gewesen, aber er hatte sie anscheinend beim Wort genommen.
Sie ging weiter den Gang hinab. Die Offiziersmesse lag ganz achtern, zwei Decks über den Triebwerken. Diese liefen unter Volldampf; es konnte also nicht mehr lange dauern, bis die Ceres den Brenner erreichte. Hoffentlich hatte Guillouet Erfahrung mit den Bergwinden.
Bevor sie anklopfen konnte, öffnete Laurent die Tür und wollte offensichtlich gerade gehen. Er blieb unvermittelt stehen und zog die Augenbrauen hoch.
»Ist Mr Bigor da?«
Er trat zurück und lud sie mit einer knappen Kopfbewegung ein hereinzukommen. Kein Mann großer Worte, wie es schien. Er hielt ihr die Tür auf, dann folgte Dubois ihm nach draußen.
Als Raum, der dazu diente, dass – auf privaten Schiffen – die Führungskräfte, der Zahlmeister und der Schiffsarzt darin ihre Mahlzeiten einnehmen und die Freischichten verbringen konnten, war die Offiziersmesse größer und besser ausgestattet als die Messe des Schlafdecks. Ein kleines Regal enthielt ledergebundene Bücher. Mehrere bequeme Sessel und ein Schreibtisch standen auf der einen Seite des Raums; der Esstisch füllte die andere.
Das alles war an den Rand geschoben worden, um Platz für die Ausrüstung der Seesoldaten zu schaffen. Yasmeens Kehle zog sich zusammen. Vor elf, zwölf Jahren hatte die große Kabine der Lady Corsair oft ganz genauso ausgesehen.
Die Marsouins waren für diese Expedition zwar zu Verteidigungszwecken angeheuert worden, doch ihre eigentliche militärische Spezialaufgabe war die Infiltration durch das Wasser und über die Luft. An der einen Wand hingen Taucheranzüge aus Messing; daneben lagen zusammengelegte Gleiter. Kisten enthielten weitere Ausrüstung und Waffen. Marsouins hatten stets ihre eigenen Sachen mitgebracht, anstatt sich auf das Arsenal und die Ausrüstung des jeweiligen Schiffs zu verlassen – anscheinend verhielt sich das heute noch immer so.
Bigor saß am Tisch und hatte vor sich eine kleine offene Truhe stehen. Er stand auf, als Yasmeen eintrat, und bedeutete ihr, sich zu setzen.
Neben der Truhe lagen einige persönliche Gegenstände, und einen nach dem anderen packte Bigor sie hinein. Briefe, eine Lumpenpuppe, die Ferrotypie einer Frau mit einem Baby … Das in der Truhe waren Durands Besitztümer, ging Yasmeen auf. Bigor bereitete sie für den Versand vor – wahrscheinlich an die Frau auf der Fotografie.
»Tut mir leid mit Ihrem Mann«, sagte Yasmeen leise.
Er schob das Kinn vor, nickte. »Wir haben nicht oft Gelegenheit, uns voneinander zu verabschieden.«
Und das war besser als nichts. »Ich weiß.«
»Ohne Ihre Kugeln wäre es vielleicht uns allen so ergangen. Danke!«
Sie bedankte sich ebenfalls mit einem Nicken. Was sollte man schon groß sagen. Es war ja eine Kugel zu wenig gewesen – aber er spielte wahrscheinlich auch jeden seiner Schüsse noch einmal durch. Und fragte sich, ob er mit vielleicht nur einem einzigen Abdrücken mehr diesen Zombie erwischt hätte, bevor er Durand hatte beißen können.
»Nun fehlt nur ein Brief noch – meiner.« Er machte die Truhe zu, schloss sie aber nicht ab. »Er hat eine Frau auf den Antillen.«
»Sie werden ihr eine gute Geschichte schicken, hoffe ich.«
»Es gibt viele über ihn, die es wert sind, erzählt zu werden. Aber heute spreche ich ihm wahrscheinlich nur einige von Ihren Kugeln zu.«
Damit seine Frau hören konnte, dass Durand gestorben war, nachdem er seine Kameraden gerettet hatte; dass sie nur dank ihm noch lebten. »Ist mir recht.«
Wieder nickte er knapp, allerdings wirkte es diesmal angeschlagen. »Man rechnet nicht damit, dass es so kommt. Im Krieg, ja. Man kämpft für eine Sache und schultert die Bürde der Verantwortung, der Pflicht – und der Dinge, die man tun muss und von denen Frau und Kinder hoffentlich nie erfahren werden. Im Krieg schicken sie einen Brief in die Heimat, in dem nur steht, dass er ehrenvoll gekämpft hat, dass er seine Pflicht erfüllt hat – und es stimmt. Aber ich tue noch immer Dinge, die ich in einem Brief nicht beschreiben möchte, und wenn ich sterbe, ist eine gute Geschichte alles, worauf ich hoffen kann. Und wie Durands Geschichte auch wird sie wahrscheinlich mit Lügen gesprenkelt sein.«
Die Lügen waren Yasmeen egal; sie hatte ihren Ruf auf handverlesene Wahrheitssplitter gebaut, und mehr würde niemand je von ihr wissen, wenn sie starb. Verantwortung hingegen und Pflicht …
Vor wenigen Monaten erst hatte
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