Broughton House - Haus der Sehnsucht
apathischen Leben aussetzen. Würden sie ihre Kinder wirklich lieben, ließen sie die Babys abtreiben.“
Die hässliche Bemerkung raubte Zoe beinahe den Atem.
„Und wenn sie sich selber liebten, würden sie gar nicht erst schwanger werden. Wem sollte man deiner Ansicht nach die Schuld dafür geben, Zoe? Den dummen kleinen Nutten, für die Sex fast das einzige Vergnügen, die einzige Aufregung ist, die sie im Leben kennenlernen werden? Vorausgesetzt, es bereitet ihnen überhaupt Vergnügen …“ Er schwieg einen Moment verärgert. „Der liberale Mittelstand hat ihnen den einzigen Schutz genommen, den sie früher hatten. Bevor Menschen wie deine Eltern alle Regeln über Bord warfen, heirateten Mädchen wie Sharon, sobald sie merkten, dass sie schwanger waren. Zumindest taten es die meisten.“
„Und du glaubst, das war besser für sie?“, fragte Zoe leise. „Mit sechzehn jemanden zu heiraten, den sie vermutlich nicht liebten, und für den Rest ihres Lebens an diese Ehe gefesselt zu sein? Waren diese Mädchen wirklich glücklicher?“
„Glücklicher?“ Ben sah sie verächtlich an. „Leute wie wir, wie ich, wie Sharon, wie meine Mutter und meine ganze Familie, kennen kein Glück, Zoe. Wir haben keine Wahl. Sharon wäre vielleicht nicht glücklicher geworden, aber sie stünde jetzt besser da. Sie hätte einen Mann, der sie unterstützte, und ihr Kind hätte einen Vater … Alle ihre Kinder hätten denselben Vater. Sie müsste nicht allein in einem heruntergekommenen Häuserblock wohnen, weit weg von ihren Freunden und ihrer Familie, wo sie vielleicht dem Alkohol oder der Depression, den Drogen oder dem Sex verfällt. Oder ihre Kinder ebenso missbraucht wie den eigenen Körper.“
„Es muss doch nicht so kommen!“, rief Zoe entsetzt.
„Nein, das muss es nicht“, stimmte Ben ihr zu. „Vielleicht kommt ja ein blonder Ritter auf einem Schimmel und entführt sie in sein Reich. Meinst du das?“
Zoe wusste nicht, was sie sagen sollte oder wie sie Ben trösten konnte. Deshalb schwieg sie lieber.
„Mit elf Jahren war Sharon eine der besten Schülerinnen ihrer Klasse“, begann Ben erneut, „Ein kluges Mädchen, sagten die Lehrer. Es hätte etwas aus ihr werden können. Dann kam die Pubertät, und Sharon war nicht länger klug. Kluge Mädchen werden nicht schwanger und ruinieren nicht ihr Leben und das ihrer Angehörigen mit unerwünschten Babys. Nur dumme, egoistische Mädchen tun das.“
„Und Jungen“, stellte Zoe fest, ohne ihn anzusehen. „Bekanntlich gehören zwei dazu.“
Ben lächelte bitter. „Vergiss nicht, dass sie angeblich die Pille nahm …“ Plötzlich stand er auf und drehte ihr den Rücken zu. „Ich bin müde und gehe zu Bett.“
Vielleicht sollte ich ihm den Brief lieber erst morgen zeigen, überlegte Zoe. Wenn Ben sich etwas besser fühlt und ich vergessen kann, dass er mir plötzlich wie ein Fremder vorgekommen ist, der mich beinahe verabscheut.
Nein, Ben verabscheute sie nicht. Er liebte sie, das wusste sie genau.
Im Moment war er nur ziemlich verärgert und sehr verzweifelt. Seufzend blickte Zoe auf den Brief und blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen gestiegen waren.
4. KAPITEL
E leanor runzelte die Stirn, denn sie glaubte, sie hätte ein Geräusch im Zimmer der Jungen gehört. Das Vivaldiband, das im Hintergrund spielte, war nicht laut genug, um Tom und Gavin zu stören. Sie legte den Text hin, an dem sie gearbeitet hatte, stieg aus dem Bett und zog ihren Morgenrock an. Da sie sich immer noch Sorgen über Toms Gesundheit machte, eilte sie hinüber.
Die Jungen schliefen fest. Sie beugte sich hinab und legte den Handrücken auf Toms Stirn. Fieber hatte er nicht.
Eleanor richtete sich wieder auf und betrachtete ihre Söhne einen Moment. Beide waren Wunschkinder gewesen, zumindest von ihrer Seite. Allan, ihr erster Mann, hatte ihre Freude über die Schwangerschaft nicht ganz geteilt und gewiss kein zweites Kind haben wollen. Immer wieder hatte er sich darüber beschwert, wie viel Zeit seine Söhne von ihr beanspruchten, und wäre lieber selber bemuttert worden.
Das hatte sich gründlich geändert. Bei seiner Tochter aus zweiter Ehe erwies Allan sich als wesentlich verantwortungsbewussterer Vater. Aber er war auch noch sehr jung gewesen, als sie geheiratet hatten, und sehr ehrgeizig. Inzwischen sah Eleanor ein, dass sie beide völlig unterschiedliche Auffassungen von einer Ehe gehabt hatten. Vielleicht hatte Allan recht mit seiner Klage, dass sie ihre Söhne
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