Broughton House - Haus der Sehnsucht
mehr geliebt hätte als ihn.
Allan hielt weiterhin Kontakt zu Tom und Gavin, und Eleanor achtete sorgfältig darauf, dass er so oft wie möglich Gelegenheit dazu bekam. Karen, seine neue Frau, war ein ausgesprochen mütterlicher Typ. Sie hatte ihnen klargemacht, dass sie genügend Liebe für alle besaß. Sie und Eleanor verstanden sich erstaunlich gut. Es war Karens Idee gewesen, dass Tom und Gavin in den Ferien tagsüber zu ihr kommen sollten, nachdem sie mit ihrem Baby zu Hause war. Dann brauchten sie nicht in den Kinderhort.
Eleanor war sogar ein bisschen stolz darauf gewesen, wie gut sich alles entwickelt hatte und wie mühelos ihre beiden Söhne sich mit ihrer Heirat und Marcus abfanden.
Doch heute hatte Tom mit einem einzigen anklagenden Satz ihre Illusionen zunichtegemacht.
„Du liebst uns gar nicht mehr“, hatte er erklärt. „Du liebst nur noch ihn.“
Selbst wenn man eine gewisse kindliche Übertreibung abzog und die Tatsache berücksichtigte, dass Tom sich selber furchtbar leidtat und möglicherweise die Schuld für sein Unwohlsein bei ihr hatte abladen wollen, blieb noch genügend Verzweiflung, um jenes schlechte Gewissen und jene Sorgen auszulösen, die Eleanor jetzt quälten.
Marcus war alles andere als erfreut gewesen, als sie ihm erklärt hatte, dass sie ihn unmöglich zu den Lassiters begleiten könne. Doch er hatte ihre Entscheidung akzeptiert und sie nicht bedrängt.
Anders als Allan, der sie oft gezwungen hatte, sich zwischen ihm und ihren Kindern zu entscheiden, gestand Marcus ihr eigene Rechte zu und schätzte sie gleichzeitig als Frau. Er spürte instinktiv, wann er hinter ihren mütterlichen und beruflichen Pflichten zurücktreten musste und wann sie eine Bestätigung für seinen männlichen Besitzanspruch benötigte.
Heute hatte sie allerdings gemerkt, dass er trotz seiner äußeren Ruhe verärgert war.
„Tom ist nicht richtig krank“, hatte er kühl erklärt.
Nüchtern betrachtet, hat Marcus recht, gab Eleanor zu. Trotzdem ärgerte sie sich über sein mangelndes Verständnis und fragte sich insgeheim, ob er bei seiner Tochter auch so sachlich geurteilt hätte.
Männer sind eben anders als Frauen, erinnerte sie sich, während sie wieder ins Bett ging. Sie erkannten keine Gefühle oder Bedürfnisse, wenn man sie nicht laut äußerte. Es war ungerecht, wenn sie von Marcus erwartete, dass er ihre Gedanken erriet und instinktiv wusste, was sie dachte und fühlte. Schließlich war ihr das nicht einmal bei Tom gelungen.
Zögernd nahm Eleanor ihre Arbeit wieder auf. Es fiel ihr leichter, geborgen im warmen Bett zu arbeiten.
So wie sie das Gefühl mochte, sicher und geborgen in Marcus’ Liebe zu leben? Dieses Bedürfnis konnte doch nur eine Frau haben, der es an einer gewissen Reife fehlte. Die keine gleichberechtigte Ehe führen wollte, sondern erwartete, dass ihr Partner alle emotionalen Bedürfnisse befriedigte.
Eleanor runzelte die Stirn. In letzter Zeit wurde ihr die wachsende Kluft zwischen dem, was sie empfinden sollte und wie es in Wirklichkeit aussah, immer stärker bewusst. Der unerwartete Abgrund aus Selbstzweifeln und Unsicherheit, der sich ihr aufgetan hatte, besorgte und verwirrte sie.
Das Vivaldiband ging zu Ende.
Eleanor merkte, dass sie sich heute nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Zu viele andere Dinge gingen ihr durch den Kopf.
Nachdem Marcus weggefahren war, hatte sie versucht, mit Tom zu reden und ihm zu versichern, dass er sich irrte. Marcus wäre keine Bedrohung für seine Beziehung zu ihr. Doch als sie sich behutsam erkundigt hatte, weshalb sie ihn seiner Ansicht nach nicht mehr liebte, hatte er geschwiegen und sich hartnäckig geweigert, über das Thema zu sprechen.
Die alte Standuhr in der Diele schlug Mitternacht. Marcus wird bald kommen, tröstete Eleanor sich.
Die Uhr erinnerte sie an ihre Großeltern. Die beiden hatten auf dem Land gelebt, und sie, Eleanor, hatte jeden Sommer zwei Wochen bei ihnen gewohnt, bevor sie zu ihren Eltern in irgendeinen Teil der Welt flog. Als Berufsdiplomat war ihr Vater häufig versetzt worden. Deshalb hatte sie den größten Teil ihrer Kindheit im Internat verbracht. Sie hatte ihre Eltern geliebt und gewusst, dass die beiden sie ebenfalls liebten. Trotzdem hatte sie ihnen nie besonders nahegestanden und sich geschworen, es bei ihren eigenen Kindern anders zu machen.
Bis heute Abend hatte sie geglaubt, ihren Söhnen tatsächlich nahezustehen. Aber das war wohl ein Irrtum, wenn sie nicht einmal erkannte,
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