Brown, Dale - Phantomjäger
ungepflückter Baumwolle unsere Panzerketten blockiert.«
»Sehr gut, Jala«, stimmte Zarazi zu. »Alles vernünftige Vorsichtsmaßnahmen.«
Turabi sah Zarazi leicht verblüfft an. »Danke, General«, sagte er. Er zögerte, bevor er aussprach, was ihn bewegte: »Das war das erste Mal seit Wochen, dass du mich wieder mit dem Vornamen angesprochen hast, Wakil. Ein schönes Gefühl. Genau wie in unserer Jugend.«
»Ah, unsere Jugend«, wiederholte Zarazi schmunzelnd. »Mir kommt’s vor, als seien Jahrhunderte vergangen, seit wir auf den Weiden und Feldern unserer Jugend gespielt haben.«
»Mir kommt’s vor, als seien Jahrhunderte vergangen, seit wir die Grenze zu diesem von Gott verlassenen Land überschritten haben«, sagte Turabi.
Zarazi betrachtete ihn mit ernster Miene. Turabi machte sich schon darauf gefasst, zusammengestaucht zu werden, weil er den Namen Gottes respektlos benutzt hatte, aber stattdessen sagte Zarazi: »Ich weiß, was du meinst, Jalaluddin.«
Nun, das ist ein bemerkenswerter Sinneswandel, dachte Turabi. »Hier ist’s beschissen, Wakil. Wir sind weit von der Heimat, weit von unseren Frauen und Kindern entfernt.«
»Ich habe das Gefühl, als ändere mein Leben sich hier, Jalaluddin«, sagte Zarazi. »Ich ... ich weiß nicht, was das bedeutet. Zuvor habe ich die Hand Allahs auf meiner Schulter gespürt – aber jetzt fühle ich sie nicht mehr. Ich glaube nicht, dass er mich verlassen hat, aber ... ich kann seine Stimme im Augenblick nicht hören. Wir stehen hier, fast im Angesicht des Feindes, und ich kann ihn nicht hören. Ich weiß nicht, ob er meinen Glauben auf die Probe stellen will oder nur findet, wir müssten diese Aufgabe auch mit unseren kümmerlichen sterblichen Gehirnen lösen können.«
»Nervosität am Vorabend der Schlacht ist ganz normal, Wakil«, sagte Turabi. Dies war überraschend, erleichternd, wundervoll – erstmals seit langer Zeit redete Zarazi nicht wie ein religiöser Eiferer. Er redete wie ein vernünftiger Kerl, wie jeder andere Kommandeur, der kurz davor ist, dem Feind auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten. Das war eine willkommene und ermutigende Veränderung. »Wir haben alles Erforderliche getan. Wir haben Aufklärer vorgeschickt, lassen unsere Flanken gegen Umgehungsmanöver sichern, haben die beste Rückzugsroute erkundet und halten Reserven in Bereitschaft. Unser Nachrichtendienst arbeitet ziemlich gut, und wir bekommen noch immer jeden Tag Zulauf von Freiwilligen, obwohl wir schon kurz vor Mary stehen. Wir haben alles getan, was zu veranlassen war.«
»Aber wird es reichen?«
»Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann, Wakil«, gab Turabi zu. Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Wakil ... mein Freund ... bitte hör mir zu. Warum gehen wir nicht nach Tschardschu zurück? Hast du das Gefühl, nicht optimal vorbereitet zu sein, sollten wir zurückgehen, uns umgruppieren, weitere Informationen einholen, uns noch etwas mehr verstärken und den Angriff neu planen.«
»Du ... sprichst von Rückzug?«
»Wakil, disziplinlos und in wilder Flucht wegzulaufen, ist ein Rückzug. Sich gut geordnet mit drei Kompanien als Nachhut abzusetzen, ist keiner«, stellte Turabi fest. »Tschardschu ist unser, Wakil – daran gibt’s nichts zu deuteln. Dort kontrollieren wir den Durchfluss von fünfzigtausend Barrel Rohöl und fünf Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag. Die zwölftgrößte amerikanische Firma zahlt uns jeden Tag tausende von Dollar, damit wir ihre Pipelines ›bewachen‹. In Tschardschu haben wir alles unter Kontrolle, Wakil. Hier draußen haben wir nichts unter Kontrolle, nicht mal das weiße Zeug, das an unseren Panzerketten klebt. Aus der Besorgnis, die du empfindest, spricht der sechste Sinn eines Soldaten. Er warnt dich, wenn Gefahr droht. Hör auf ihn!«
Wakil starrte Turabi an – und dann sah er sich zu Turabis Freude kurz nach Nordosten um, wo Tschardschu lag. Das war nur eine leichte, fast beiläufige Kopfbewegung, aber für Turabi sprach sie Bände.
Sie waren von Tschardschu aus in weniger als einer Woche fast zweihundert Kilometer weit durch die wasserlose Gluthölle der Karakum-Wüste marschiert, um hierher zu gelangen, und hatten Flankenangriffe turkmenischer Freischärler abgewehrt, feindliche Spähtrupps verjagt, ihre Toten begraben, Gefangene gemacht, Spione erschossen und ihren Großangriff geplant – und in dieser ganzen Zeit hatte Wakil Mohammad Zarazi kein einziges Mal zurückgeblickt. Seit sie im Norden
Weitere Kostenlose Bücher