Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Telefonzelle, um einen Bestatter zu bestellen und einige Verwandte zu benachrichtigen. Als Bruce von der Schule nach Hause kam und erfuhr, dass sein Großvater gestorben war, war er völlig aufgelöst. »Für mich brach eine Welt zusammen«, sagt er. »Trotzdem haben wir nicht über den Tod meines Großvaters gesprochen. Er war Anfang/Mitte sechzig, als er starb. Ich hatte ihm so nahe gestanden, aber als Kind weiß man ja nicht, wie man reagieren soll. Ich erinnere mich an die Beerdigung, die Totenwache und all das. Aber es war nicht so wie heute. Alle waren noch … so anders.«
Da das Haus an der Randolph Street eigentlich abbruchreif war, zog Alice zu Doug und seiner Familie. Die meiste Zeit über kümmerte sie sich um Pam und nutzte die Gelegenheit, ihrem vierzehnjährigen Enkel wieder einmal ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Wie früher legte sie ihm jeden Morgen seine Sachen aufs Bett, kochte sein Lieblingsessen und begeisterte sich für alles, was er tat und sagte. Dieses Mal spielte Adele das Spielchen mit. Sie überließ Bruce das beste Zimmer im Haus, das einen direkten Zugang zum Wintergarten hatte. Als er herausfand, dass dort genug Platz für einen Billardtisch war, sparten sich Adele und Doug das Geld dafür vom Mund ab und nahmen einen weiten Weg durch einen dichten Schneesturm auf sich, damit das teure Spielzeug rechtzeitig zu Weihnachten im Haus war.
Alice hatte wochen-, wenn nicht gar monatelang für sich behalten, dass es ihr nicht gut ging. Aber warum hätte sie auch jemanden damit behelligen sollen? Sie hatte ohnehin kein Geld für Arztbesuche. Als Adele sie endlich ins Krankenhaus brachte, diagnostizierten die Ärzte Krebs und behielten sie für drei Monate da. Die alte Frau ließ etliche Behandlungen über sich ergehen, von denen einige höchstwahrscheinlich experimenteller Natur waren. »Ich vermute, dass sie für die bloß ein Versuchskaninchen war, da sie weder Geld noch eine Versicherung hatte«, sagt Adele.
Alice kam wieder nach Hause, doch es dauerte sehr lange, bis sie langsam wieder zu Kräften kam. Sie war schon fast wieder ganz die Alte, als die damals dreijährige Pam eines Nachts aufwachte und ihre Mutter fragte, ob sie sich zur Oma ins Bett legen dürfe. Adele wunderte sich zwar angesichts dieser Bitte – Pam hatte so etwas bislang noch nie getan –, doch sie nickte nur und blickte ihrer Tochter hinterher, als sie den Flur entlangtapste und durch die Tür in das gegenüberliegende Schlafzimmer schlüpfte. »Ich erinnere mich noch, wie ich in Omas Zimmer ging und sie ein wenig zur Seite rückte und die Bettdecke anhob, um mich hineinzulassen«, sagt Pam.
Das kleine Mädchen kuschelte sich bei der alten Frau an, ganz so, wie es ihre kleine Virginia so viele Jahre zuvor getan haben mochte, und so schliefen die beiden ein. Was immer Alice gedacht oder geträumt haben mag, als sie wieder eingeschlafen war – wir werden es nie erfahren. »Als ich am nächsten Morgen aufwachte, rüttelte ich sie hin und her, um sie zu wecken, doch sie bewegte sich nicht«, erzählt Pam. Bruce, der bereits auf dem Weg zur Schule war, hatte nichts mitbekommen: »Ich bin mir sicher, dass ich durch den Raum ging, als sie dalagen – mein Zimmer war keine fünf Meter von ihrem entfernt. Ihr Tod veränderte mein ganzes Leben, meine Welt stürzte ein. Ich kann mich nicht erinnern, dass viel Aufhebens um den Tod meines Großvaters gemacht worden wäre, aber als meine Großmutter starb, war das anders. Mein Vater war vor Verzweiflung völlig außer sich.«
Das Haus an der Randolph Street hatte, nachdem Alice 1962 ausgezogen war, für ein paar Monate leer gestanden. Dann kamen die Bulldozer, um es abzureißen. Eine große Staubwolke stieg auf, als die verwitterten Wände in sich zusammenfielen, übrig blieb lediglich ein großer Schutthaufen, der mit einem LKW abtransportiert wurde. Das geräumte Grundstück wurde planiert, asphaltiert und zu einem Parkplatz der St. Rose Church umfunktioniert. Bruce weigerte sich lange, einen Blick darauf zu werfen. »Noch Jahre nach dem Abriss konnte ich nicht dorthin gehen«, sagt er. »Ich brachte es einfach nicht fertig, mir das anzusehen. Dieser Ort war sehr, sehr wichtig für mich.« Die Stille, die bedingungslose Liebe seiner Großeltern, die Bewunderung, die ihm zuteil wurde. Dies war der Ort gewesen, an dem sich sein Bewusstsein entwickelt hatte. Er hatte hier so tiefe und so weit verzweigte Wurzeln geschlagen wie die irische Buche im Vorgarten.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher