Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Eigenbrötler und längst daran gewöhnt, immer allein zu sein.« Ganz gleich wo er gerade war, mit seinen Gedanken war er immer woanders. »Ich hatte eine äußerst lebhafte Fantasie. Meine Aufmerksamkeit galt immer etwas anderem als dem, worum es gerade ging. Ich konzentrierte mich beispielsweise darauf, wie das Licht auf eine Wand fiel oder wie sich die Steine unter meinen Füßen anfühlten.«
Bruce hatte einen kleinen Freundeskreis, der sich überwiegend aus den Jungen zusammensetzte, mit denen er in der Gegend rund um die Randolph Street Ball spielte oder Rennen mit Spielzeugautos veranstaltete. Sein bester Freund aus dieser Gruppe war der etwas jüngere Bobby Duncan, den Bruce in der Vorschule kennengelernt hatte. Für Duncan war er ein ganz normales Kind: Er liebte Baseball, fuhr nachmittags gerne mit dem Fahrrad zum Süßwarengeschäft auf der Main Street und radelte dann mit ihm zurück zum Haus seiner Großeltern, wo sie das Kinderprogramm sahen oder Archie -Comics lasen oder beides. Duncan bemerkte allerdings auch, das sein Freund anders war: »Er war ein Einzelkämpfer. Er scherte sich nicht darum, was die Leute dachten.« Allein dadurch fiel er aus dem Rahmen, sodass die anderen Jungs aus der Nachbarschaft oft nicht wussten, was sie mit ihm anfangen sollten. Das machte sich besonders bemerkbar, als sie alt genug waren, um sich in den üblichen Prügeleien miteinander zu messen. »Ich wuchs in einem Schwarzenviertel auf, aber in der näheren Umgebung gab es etliche Viertel, in denen weiße Familien lebten«, sagt David Blackwell, der damals nur wenige Blocks von Bruce entfernt wohnte. »Wir wurden alle Freunde, weil wir uns alle prügelten. Ich schlug mich mit all meinen Freunden, weißen wie schwarzen. Aber Bruce hatte irgendwas an sich … Ich glaube, Sie werden in Freehold niemanden finden, der versucht hat, sich mit ihm zu prügeln.« Wenn auch nur, wie Davids Bruder Richard sich erinnert, weil der Springsteen-Spross immun zu sein schien gegen die Spötteleien, die diese Prügeleien provozierten. »Man konnte irgendwas Beleidigendes über seine Mutter sagen, und er zuckte nur mit den Schultern, sagte ›Okay!‹ und ging weiter«, berichtet er. »Da konnte man nichts machen, das musste man respektieren. Sollte er sich halt mit seinem eigenen Kram beschäftigen.«
Seine unzugängliche und störrische Art war es wohl auch, die Bruce zu einem gefundenen Fressen für die Nonnen mit ihren mittelalterlich anmutenden Strafen sowie für die Klassenkameraden machte, die sich über Bruce’ unbeholfene Reaktionen amüsierten. Bruce handelte sich reichlich Ärger mit den Lehrerinnen ein, sodass mehr als einer seiner Schultage im Büro des Direktors endete, wo er einige Stunden warten musste, bis Adele ihn abholen kam. Von seinen Eltern zur Rede gestellt, gab er immer wieder dieselbe Erklärung für sein Verhalten. »Er wollte einfach nicht mehr auf diese katholische Schule gehen«, sagt Adele. »Aber ich habe ihn dazu gezwungen, was mir heute unendlich leidtut. Ich hätte wissen müssen, dass das nichts für ihn war.« 3
Douglas Springsteen war in diesen Jahren meist ganz und gar in sich gekehrt. Mit seiner grüblerischen, gar nicht mal unattraktiven Art erinnerte er ein wenig an den Schauspieler John Garfield. In seinem Job war er oft nicht in der Lage, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, und so wechselte er häufig die Arbeitsstelle. Nach dem Ende seiner Beschäftigung bei den Ford-Werken arbeitete er zunächst als Wachmann und dann als Taxifahrer, bevor er ein, zwei Jahre in der nahe gelegenen M & Q-Plastikfabrik Formteile ausstanzte. Anschließend war er ein paar unglückliche Monate lang als Gefängniswärter tätig, bevor er sich gelegentlich als LKW-Fahrer verdingte. Unterbrochen wurden diese Beschäftigungsverhältnisse von oft langen Phasen der Arbeitslosigkeit, in denen Doug seine Tage meist rauchend und Löcher in die Luft starrend allein am Küchentisch verbrachte. Doch von dem, was sich vor seinem Küchenfenster abspielte, bekam er nichts mit.
Richtig wohl fühlte sich Doug nach wie vor bei seinem Cousin und engsten Freund Dim Cashion, der nach seiner Zeit als Profibaseballer inzwischen als Trainer für Little-League-Teams sowie als Spielertrainer für New Jerseys semiprofessionelle Ligen arbeitete. Doch obschon es Dim dank seines Talents und Charismas gelang, Generationen kleiner Jungs aus Freehold für Baseball zu begeistern, konnte auch er sich dem Sog der manisch-depressiven Erkrankung,
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