Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
»Ich habe keinen Dieb gesehen.«
»Wie lange sitzt du schon hier? Hast du irgend jemanden vorbeikommen sehen?«
»Ich war die ganze Nacht hier«, antwortete der Mann langsam. »Hier ist niemand vorbeigekommen.«
Inzwischen hatten die beiden anderen, die ganz außer Atem waren, die Reiter eingeholt. Leise beratschlagten die vier Männer. »Er muß sich in die Büsche geschlagen haben und zurückgelaufen sein«, sagte einer. »Ihr geht zurück und sucht rechts der Straße. Wir reiten weiter bis zum Posten, um sicherzugehen, daß er uns nicht durch die Finger geschlüpft ist.
Dort kehren wir um und suchen das Gelände links der Straße ab.«
Die Pferde setzten sich wieder in Bewegung, und langsam entfernte sich das Getrappel der Hufe. Die beiden Unberittenen schienen umgekehrt zu sein und suchten jetzt unter den Bäumen, wobei sie mit Stöcken in den Büschen stocherten, um ihr Opfer aufzuscheuchen. Es entstand eine lange Stille, und Joscelin hatte Angst, etwas zu sagen.
»Du kannst beruhigt sein, sie sind fort«, sagte der alte Mann schließlich, ohne den Kopf zu wenden. »Aber vorerst müssen wir bleiben, wo wir sind.«
»Aber ich habe etwas zu erledigen«, sagte Joscelin leise und beugte sich vor, um seinen Mund möglichst dicht an das Ohr des Mannes zu bringen. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, daß Ihr mich versteckt habt, aber ich muß es noch vor Tagesanbruch irgendwie schaffen, ins Kloster zu kommen, sonst ist die Freiheit, die ihr mir bewahrt habt, nichts wert. Ich habe dort etwas zu erledigen, um jemand anderem zu helfen.«
»Und was könnte das sein?« fragte der alte Mann ruhig.
»Ich muß, wenn es irgendwie möglich ist, die Hochzeit verhindern, die heute stattfinden soll.«
»Ah!« sagte die geduldige, bedächtige Stimme. »Warum?
Und wie willst du das anstellen? Nein, du darfst dich jetzt noch nicht bewegen - sie werden zurückkommen, und hier muß alles genauso aussehen wie vorher: ein alter Aussätziger, der die Nacht draußen verbracht hat, weil er lieber Sterne als ein Dach über dem Kopf hat.« Das Heu raschelte; es klang, als habe der Mann einen tiefen Seufzer getan. »Hast du verstanden, warum sie weitergeritten sind? Hast du Angst vor Aussätzigen, mein Junge?«
»Nein«, antwortete Joscelin, überlegte kurz und verbesserte sich: »Ja! Ich hatte Angst, zumindest dachte ich es. Ich weiß nicht. Ic h weiß nur, daß ich noch mehr Angst davor habe, bei dem, was ich tun muß, zu versagen.«
»Wir haben viel Zeit«, sagte der alte Mann. »Wenn du mir etwas erzählen willst - nur zu, ich höre.«
Nur einem wie diesem, dem er durch eine Fügung des Schicksals begegnet war und dem er sofort vertraute, konnte Joscelin sein Herz ausschütten. Plötzlich schien es das natürlichste Ding der Welt zu sein, sich diesem alten Mann vorbehaltlos anzuvertrauen und nichts von seiner verbotenen Liebe, dem Unrecht, das ihm geschehen war, und dem noch größeren Unrecht, das man Iveta zufügen wolle, zu verschweigen. Mitten in der Erzählung drückte die Hand wieder warnend auf sein Knie, und wenig später ritten die beiden Männer des Sheriffs wieder vorbei in Richtung Shrewsbury. Als der Hufschlag verklungen war, fuhr Joscelin fort, wo er innegehalten hatte.
»Und darum wolltest du dich irgendwo im Kloster verstecken«, sagte der Alte, als Joscelin geendet hatte, »um dann plötzlich vorzutreten und deinen ehemaligen Herrn so zu beleidigen, daß er keinen Zweikampf würde ablehnen können, ohne sein Gesicht zu verlieren?«
»Ich sehe keinen anderen Ausweg«, seufzte Joscelin.
Insgeheim mußte er aber zugeben, daß sein Plan, so formuliert, nicht besonders erfolgversprechend klang.
»Dann laß dir nur Zeit bis zum Tagesanbruch«, sagte Lazarus. »Eine Klapper, ein Umhang und ein Gesichtstuch können dich ebenso gesichtslos und namenlos machen wie jeden anderen. Aber eines kann ich dir sagen: Huon de Domville hat heute nacht nicht in seinem Bett geschlafen. Er ist hier vorbei ausgeritten und ein Stück weiter die Straße hinunter nach rechts abgebogen. Ich habe die ganze Nacht hier verbracht, und wenn er keinen anderen Weg genommen hat, ist er noch nicht zurückgekehrt. Ich nehme an, daß er auf demselben Weg zurückreiten wird, und bevor er hier vorbeigekommen ist, wird kein Bräutigam vor dem Altar erscheinen. Wir können ja abwechselnd nach ihm Ausschau halten, damit wir seine Rückkehr nicht verpassen. Aber was, wenn er nicht kommt?«
Es war die seltsamste Nacht, die Joscelin je erlebt hatte,
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