Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
und auch der seltsamste Tagesanbruch. Die Strahlen der aufgehenden Sonne durchbrachen den leichten Nebel, der mit dem ersten Licht des Tages aufgekommen war, aber unten, in der Niederung, auf der anderen Seite der Straße, lag er in dichten Schwaden. Von Huon de Domville jedoch war weit und breit nichts zu sehen.
»Bleib in deinem Versteck«, sagte Lazarus schließlich, »bis ich wieder da bin.« Er erhob sich und ging in das Hospital, um gleich darauf mit einem Mantel, wie er ihn trug, und einem blauen Gesichtstuch aus Leinen zurückzukehren. »Du kannst jetzt herauskommen und das anziehen. Oder fürchtest du dich, das Gewand eines Toten zu tragen? Er liegt auf dem Friedhof dort drüben. Wenn einer hier stirbt, bleiben seine Kleider im Hospital - es sind genug davon da. Das Unterkleid wird verbrannt, aber den Mantel wäscht man aus, damit ein anderer ihn tragen kann. Der, dem dies gehört hat, muß ziemlich groß gewesen sein. Du wirst sehen, daß dir dieser Mantel paßt.«
Wie ein Kind oder wie einer, der einen so seltsamen Traum erlebt, daß er seinem Führer bedingungslos vertrauen muß, tat Joscelin alles, was der Alte ihm sagte. In diesem Zustand kam es ihm nicht merkwürdig vor, einem Aussätzigen von seinen Sorgen zu erzählen, eine Kutte anzuziehen, die auch ihn zu einem Aussätzigen machte und dadurch schützte, und sich, ohne Furcht oder Abscheu zu empfinden, in das Hospital führen zu lassen, in dem diese Unglücklichen lebten. Er hatte die Hand, die sich ihm hingestreckt hatte, mit Dankbarkeit ergriffen.
Er fragte nicht einmal, wie seine Anwesenheit unter den anderen Aussätzigen unentdeckt bleiben sollte. Gewiß war ihre Zahl bekannt, und er war zu groß, um übersehen zu werden.
Vielleicht hatte Lazarus bereits dem einen oder anderen Bescheid gegeben, vielleicht aber merken es Menschen, die überall ausgeschlossen sind, auch instinktiv, wenn einer der Ihren in Not ist, und tun alles, um ihm zu helfen - jedenfalls nahmen die Aussätzigen Joscelin in ihre Mitte und verbargen ihn, als sie sich zur Prim in der Kirche versammelten.
Rings um sich her sah er alle möglichen Verstümmelungen und Entstellungen, und er stellte fest, daß ihn eine große, bis dahin nicht gekannte Demut überkam. Es war lange her, daß er dem Gottesdienst mit einer solchen Ergriffenheit gelauscht und sich wirklich als Mitglied einer Gemeinde gefühlt hatte.
Lazarus hatte dem kleinen Bran die Aufgabe übertragen, die Straße draußen im Auge zu behalten. Der Junge kannte den Mann, nach dem er Ausschau halten sollte, ja nur zu gut. Alles wurde Joscelin von anderen abgenommen, und da er ihre Hilfe im Augenblick nicht ablehnen und auch keine Gegenleistungen anbieten konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als wie die anderen demütig den Kopf zu neigen und Gott von ganzem Herzen für die Gnade zu danken, die er ihm heute erwies. Und das tat er auch.
5. Kapitel
Sie hatten Iveta schon früh geweckt, denn schließlich mußte sie sorgfältig zurechtgemacht werden. Agnes und Madien badeten sie, kleideten sie an und schmückten sie. Sie flochten ihr blondes Haar zu einem Dutzend schimmernder Zöpfe, die von einem feingesponnenen Netz zusammengehalten wurden, und setzten ihr ein goldenes, mit Edelsteinen besetztes Diadem auf. Ein Schleier aus gesponnenem Gold hing über ihren Nacken und ihre Schultern und floß wie ein glänzender Wasserfall über die Goldstickerei ihres Kleides. Stumm, mit ausdruckslosem Gesicht, ließ sie alles über sich ergehen, und ihr Gesicht war so bleich, daß ihr Elfenbeinschmuck dagegen stumpf wirkte. Gehorsam drehte und wendete sie sich, neigte den Kopf, wenn man sie dazu aufforderte, und tat alles, was man ihr sagte. Als sie fertig war, stellte man sie in die Mitte des Zimmers, wo sie dastand wie eine Heiligenfigur, an deren Gewand jedes Fältchen dort saß, wo es hingehörte, und befahl ihr, sich nicht zu bewegen, damit die Pracht keinen Schaden nahm. Sie rührte sich nicht vom Fleck und beklagte sich mit keinem Wort, während Agnes und Madien sich in nicht weniger kostbare Gewänder kleideten.
Ihr Onkel kam, ging mit kritisch zusammengekniffenen Augen um sie herum, zupfte an den Falten ihres Schleiers, damit er noch symmetrischer über ihre Schultern fiel, und gab seiner Zufriedenheit Ausdruck. Wenig später kam der Kanonikus Eudo, heuchlerisch und scheinheilig wie immer, beglückwünschte sie nicht so sehr zu ihrer Schönheit und ihrem herrlichen Gewand als vielmehr zu dem großen Glück, das ihr
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