Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
Leidensgenossen schliefen und er der einzige war, der die Nacht durchwachte. Er ging nicht ins Haus, obwohl die Vordertür nie verriegelt war, für den Fall, daß ein Unglücklicher in der Kälte der Nacht eine Zuflucht suchte. Vor Morgengrauen mochte es recht kühl werden, aber die Nacht war ruhig und von süßen Düften erfüllt. In solch einer stillen Nacht ließ sich gut nachdenken, und Kälte machte dem Mann nichts aus. Draußen vor dem Zaun, an der Friedhofsmauer, lag ein großer Haufen getrocknetes Gras, das von der Böschung zwischen dem Hospital und der Straße stammte. In ein oder zwei Tagen würde es in die Scheune gebracht werden und dort als Futter und Streu für die Tiere Verwendung finden. Der alte Mann wickelte sich in seinen Umhang und setze sich mit dem Rücken zum weichen, wärmenden Heuhaufen auf den Boden. Die Klapper, die in seinem Gürtel steckte, legte er neben sich. Weit und breit war kein Mensch, den er vor einem Aussätzigen hätte warnen müssen.
Er schlief nicht. Er saß hochaufgerichtet mit im Schoß gefalteten Händen da, die verstümmelte Linke in der unversehrten Rechten. Nichts in dieser Nacht war so still und reglos wie er.
Joscelin hatte eine Weile im Heu geschlafen. Simon hatte ihm, wie versprochen, Brot, Fleisch und Wein gebracht, und auch seine Kleider waren inzwischen getrocknet; er hatte oftmals unbequemer geschlafen. Nur seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Simon hatte natürlich leicht reden, als er ihm versprach, ihm in ein oder zwei Tagen, unter dem Vorwand, der Grauschimmel brauche Bewegung, sein Pferd zu bringen. Er würde zwar so seinem Freund zur Flucht verhelfen, wenn der Eifer der Männer des Sheriffs nachgelassen hatte, wie es ja zwangsläufig der Fall sein würde. Aber was hatte er, Joscelin, davon? Morgen schon sollte Iveta geopfert werden, und eine Flucht ohne sie kam für ihn nicht in Frage. Er war Simon dankbar, daß er ihn zu diesem Schlupfwinkel geführt hatte, und zweifellos war es auch nur vernünftig, sich nicht von hier fortzurühren, bis sich alles beruhigt hatte. Das war ein gutgemeinter Rat, aber Joscelin hatte nicht die Absicht, ihn anzunehmen. Gegen eine Atempause hatte er nichts einzuwenden, aber er mußte etwas unternehmen, um die Trauung morgen früh um zehn Uhr zu verhindern, sonst war alles verloren.
Hier war er nun - mutterseelenallein. Er wurde verfolgt, man würde auf ihn schießen, wenn er sich zeigte, er hatte weder eine Waffe noch einen Plan, und es blieb ihm nur eine Galgenfrist von einigen Stunden.
Er kam schnell zu dem Schluß, daß er hier, in diesem Heuschober, nichts unternehmen konnte und daß er dieses Versteck nur im Schutz der Dunkelheit würde verlassen können. Selbst wenn er sich einen Dolch hätte verschaffen und unbemerkt ins Haus, in Domvilles Schlafgemach, hätte schleichen können, wäre ihm das kaum von Nutzen gewesen.
Über einen Mord ließ sich leicht reden, aber Bruder Cadfael hatte vollkommen recht gehabt: Er war nicht fähig, einen Menschen zu töten - jedenfalls nicht heimlich und hinterrücks.
Und wenn er Domville offen zum Zweikampf herausforderte, würde der ihm nur ins Gesicht lachen, bevor er ihn dem Sheriff übergab - und zwar nicht aus Feigheit, das mußte man ihm lassen. Es gab auf dieser Welt kaum etwas, vor dem Domville Angst hatte, und auf dem Turnierplatz gab es nicht viele, die ihm gleichkamen. Ich bin zwar kein schlechter Schwertkämpfer, dachte Joscelin, aber obwohl er so viel älter ist als ich, würde er mich ohne große Schwierigkeiten besiegen. Nein, nicht aus Angst, sondern aus Verachtung würde er meine Herausforderung ablehnen.
Es sei denn..., es sei denn, ich würde ihn vor dem Abt und dem Kanonikus und den Gästen und allen anderen beleidigen, ihm ins Gesicht schlagen, irgend etwas tun, das seine Würde verletzt und ihm eine Schmach zufügt, die nur durch einen öffentlichen Zweikampf ausgelöscht werden kann. Dafür würde er nicht mehr den Sheriff und das Gesetz bemühen, dafür würde er davon absehen, mich auf langsamere Art zu vernichten, und nur noch danach trachten, mein Herz mit seinem Schwert zu durchbohren. Dafür würde er Iveta und die Hochzeit und alles andere vergessen - jedenfalls so lange, bis er die Beleidigung gerächt hätte. Und was noch mehr ist: Wenn ich ihn so weit bringen könnte, wäre er gezwungen, sich an alle Regeln zu halten, mir Atempausen zu lassen, mir ein Schwert zu geben, das ebenso lang ist wie das seine, und mich ehrenhaft zu töten. Denn das muß
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