Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
geflüchtet hatte, er allein würde, wenn es zum Schlimmsten kam, dafür zur Rechenschaft gezogen werden, daß er diesen Mann aufgenommen hatte, ohne dem Sheriff Nachricht zu geben. Daher hatte Bruder Mark den Unbekannten seit seiner Rückkehr heute morgen nicht aus den Augen gelassen. Und bislang hatte der junge Mann es ihm auch leicht gemacht. Den ganzen Morgen hatte er sich zusammen mit Bran in der Nähe des Hospizes aufgehalten. Er hatte geholfen, das im Wald gesammelte Holz aufzustapeln und das letzte Heu, das man an der Straßenböschung geschnitten hatte, einzubringen. Er hatte mit Bran an einer ausgetrockneten Lehmpfütze gehockt und Zeichenspiele gespielt - der Lehm konnte immer wieder geglättet werden, wenn ein Spiel unter viel Gelächter beendet war. Nein, ein junger Bursche, der in Schwierigkeiten steckte und sich dennoch so rührend um ein Kind kümmerte, konnte kein Verbrecher sein, und bald mußte Mark feststellen, daß er den Mann nicht so sehr überwachen als vielmehr vor seinen Feinden zu schützen suchte.
Er hatte bemerkt, daß Joscelin und Lazarus die Straße überquert hatten und auf jenen Hügel gestiegen waren, von dem aus sie das ganze Tal überblicken und den Männern des Sheriffs zusehen konnten, und ihm war nicht entgangen, daß Joscelin mit Bran zurückkehrte, der an seiner Seite auf und ab hüpfte und in einem fort redete. Jetzt saßen die beiden an der Friedhofsmauer und schnitzten an einem Stück Holz herum, das sie aus dem Brennholzstapel gezogen hatten. Bruder Mark brauchte nur einige Schritte zu tun, um Brans Kopf sehen zu können, auf dem der blonde Haarschopf schnell nachwuchs.
Das Kind beugte sich über die großen, geschickten Hände, die mit Fleiß daran arbeiteten, dem Holz eine neue Form zu geben.
Hin und wieder hörte er freudiges Gelächter, und die Ursache dafür schien das zu sein, was dort Gestalt annahm. Bruder Mark dankte Gott dafür, daß er in seiner Barmherzigkeit die Armen und Ausgestoßenen nicht vergaß, und mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß er auf der Seite dessen stand, der dem Jungen eine solche Freude machte.
Er war neugierig, was für Kunstwerke dort an der Friedhofsmauer entstehen mochten, und nach etwa einer Stunde gab er seiner menschlichen Schwäche nach und ging hin, um nachzusehen. Bran begrüßte ihn freudig und schwenkte etwas in seiner Hand. Es war ein Pferd, etwa eineinhalb Handbreit hoch, grob geschnitzt und ohne Feinheiten, aber dennoch klar erkennbar. Der mit Kapuze und Gesichtsruch verhüllte Kopf des Mannes war über eine zweite Arbeit gebeugt: Aus einem anderen Stück Holz schnitzte er den Kopf eines Kindes. Aus hellen blauen Augen warf er hin und wieder einen kurzen Blick auf Bran und konzentrierte sich dann wieder auf seine Arbeit. Seine Hände waren unversehrt, glatt, sonnengebräunt und jung. Er hatte alle Vorsicht vergessen.
Bruder Mark kehrte zu seinem Tisch zurück. Er empfand eine Verbundenheit mit dem jungen Mann, die er nicht hätte begründen können. Der kleine Kopf, der schon lebendig wirkte, bevor noch irgend etwas anderes als das Gesicht Gestalt angenommen hatte, hatte für ihn den Ausschlag gegeben.
Der Nachmittag verstrich, und langsam wurde es so dunkel, daß Mark die Zahlen, die er vor sich hatte, nicht mehr lesen konnte. Aber die Rechnungen waren ohnehin abgeschlossen, und er war sicher, daß Joscelin Lucy - dies war schließlich sein Name, warum ihn also nicht benutzen? - seine Schnitzerei ebenfalls nicht mehr erkennen konnte und seine Arbeit entweder abgebrochen oder aber Brans kleines Porträt fertiggestellt hatte. Kurz nachdem Bruder Mark die Lampen im Haus angezündet hatte, kam der Junge hereingestürzt und schw enkte mit kleinen Begeisterungsschreien den Kopf, den sein Freund geschnitzt hatte.
»Seht nur, Bruder Mark! Das bin ich! Das hat mein Freund gemacht.«
Ja, ohne Zweifel: Das war er. Das ausdrucksvolle Gesicht des Jungen war lebendig wiedergegeben, wenn auch das zum Schnitzen ungeeignete Messer nicht alle groben Stellen im Holz hatte glätten können. Aber der Freund, der dieses kleine Kunstwerk geschaffen hatte, war nicht mit ins Haus gekommen.
»Lauf schnell zu deiner Mutter und zeig es ihr«, sagte Bruder Mark. »Das wird sie aufmuntern - sie war heute sehr niedergeschlagen. Es wird ihr sicher gefallen. Geh nur und zeig es ihr!« Bran nickte strahlend und lief hinaus. Selbst sein Gang war sicherer und schneller geworden, seit er nicht mehr ganz so mager war und regelmäßig etwas zu essen
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