Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
dem Finger darüber, stellte fest, daß kein Blut daran war, und ließ ihn liegen, wo er war. Er würde ihn bei besserem Licht eingehender untersuchen. Im Augenblick gab es für ihn wenig mehr zu tun, als die Hand auf das Herz des Mannes zu legen. Es hatte aufgehört zu schlagen. Cadfael kniete so neben dem Toten, daß sein Schatten nicht auf ihn fiel, und versuchte, sein Gesicht zu erkennen. Selbst in diesem schlechten Licht konnte er sehen, daß es verzerrt war. Die Augen waren aus den Höhlen getreten, und die Zunge war geschwollen und zerbissen.
Wie Huon de Domville hatte irgend jemand dem Reiter des grauen Pferdes auf dem Heimweg aufgelauert, und diese Begegnung hatte Godfrid Picard nicht überlebt.
Bruder Cadfael ließ alles, wie er es vorgefunden hatte, überließ den Grauschimmel sich selbst, trieb das überraschte Maultier zur Eile und ritt, so schnell er konnte, zum Kloster zurück.
10. Kapitel
Iveta hatte den ganzen Tag Zeit, sich in Geduld zu üben und Berechnung zu lernen. Die Not ist eine hervorragende Lehrerin, und es war unbedingt nötig, bis zum Abend dieses Tages alle so in Sicherheit zu wiegen, daß niemand es für erforderlich hielt, jeden ihrer Schritte zu überwachen - vorausgesetzt, sie konnte das Kloster nicht verlassen. Und selbst wenn ihr das gelang, wohin hätte sie schon gehen können? Ihr Liebster wurde als Mörder gesucht, der einzige Freund, den sie besaß, hatte keinen Zugang zu ihr, und der Mönch, der so freundlich zu ihr gewesen war, war seit dem frühen Morgen nicht mehr gesehen worden. Wohin hätte sie gehen, bei wem hätte sie Zuflucht suchen sollen? Sie war ganz allein.
Während ihr rebellisches Herz den Abend herbeisehnte, hatte sie den ganzen Tag über ihre Rolle perfekt und überzeugend gespielt. Am Nachmittag hatte sie über Kopfschmerzen geklagt und mit der Begründung, die frische Luft werde ihr guttun, darum gebeten, im Garten Spazierengehen zu dürfen, und da Madien die Silberstickerei an einem Gewand ihrer Herrin ausbessern mußte, hatte man ihr gestattet, ohne Begleitung hinauszugehen. Agnes hatte verächtlich den Mund verzogen, als sie Iveta die Erlaubnis gab.
Das Mädchen war so lammfromm, daß kaum zu erwarten war, daß sie irgend etwas tun würde, was das Mißfallen ihrer Tante erregte.
Mit langsamen Schritten und leidender Miene ging Iveta in den Garten und blieb sogar eine Zeitlang auf der ersten Steinbank sitzen, für den Fall, daß man ihr jemanden nachgeschickt hatte, der sie überwachen sollte; sobald sie jedoch sicher war, daß ihr niemand gefolgt war, schlüpfte sie geschwind durch eine Öffnung in der Hecke und ging über die kleine Brücke in den Kräutergarten. Die Tür des Gartenhauses stand weit offen, und drinnen war jemand bei der Arbeit. Iveta begann, an den Erfolg ihres Plans zu glauben. Natürlich hatte Bruder Cadfael einen Gehilfen. Es konnte ja vorkommen, daß während seiner Abwesenheit gewisse Arzneien plötzlich dringend gebraucht wurden. Irgend jemand mußte da sein, der sich mit diesen Mitteln auskannte und sie anzuwenden wußte, auch wenn er nicht über Bruder Cadfaels Fertigkeit und Erfahrung verfügte.
Bruder Oswin war gerade dabei, die Scherben von zwei flachen Schalen aufzusammeln, die beim Aussortieren von Samen Verwendung fanden, und schrak schuldbewußt zusammen, als er hinter sich Schritte hörte. Diese beiden Steingutschalen waren das erste, das ihm in den vergangenen drei Tagen zerbrochen war, und da sie leicht und billig herzustellen und darüber hinaus noch in reichlicher Zahl vorhanden waren, hatte er gehofft, die Scherben unbemerkt beseitigen und Stillschweigen über den Vorfall bewahren zu können. Mit einer Entschuldigung auf den Lippen wandte er sich um, aber angesichts der unerwarteten Erscheinung in der Tür blieben ihm die Worte im Hals stecken. Er riß Mund und Augen auf, und sein rosiges, argloses Gesicht erstarrte. Es war schwer zu sagen, wer tiefer errötete - Oswin oder das Mädchen.
»Ich bitte um Vergebung, wenn ich Euch bei Eurer Arbeit störe«, sagte Iveta zögernd. »Ich wollte nur fragen... Vor zwei Tagen gab mir Bruder Cadfael, als ich mich nicht wohl fühlte, einen Schlaftrunk. Er sagte, er habe ihn aus Mohn hergestellt.
Kennt Ihr diesen Trunk?«
Oswin schluckte, nickte eifrig und fand endlich seine Sprache wieder. »Hier ist er, in diesem Fläschchen. Bruder Cadfael ist heute nicht hier, aber er hätte sicher nichts dagegen... Vielleicht kann ich Euch helfen? Er würde sicher wollen, daß ich
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