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Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel

Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel

Titel: Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Leichen müssen verschwinden – je schneller, desto besser!«
    »Das ist auch meine Meinung. Wohin habt Ihr sie bringen lassen?«
    Noch vor Morgengrauen waren die Leichen der Hingerichteten von den Flamen fortgeschafft worden. Sicher war das nicht ihre eigene Idee gewesen, eher schon die Prestcotes. Daß er die Hinrichtungen guthieß, bedeutete noch lange nicht, daß er Freude daran hatte, und da er ein alter Soldat war, der auf Ordnung hielt, sorgte er für Sauberkeit in der neuen Garnison.
    »Als wir sicher waren, daß der Tod bei allen eingetreten war, wurden sie abgeschnitten und über die Brustwehr in den Burggraben geworfen. Wenn Ihr durch das Tor geht, das zur Burgsiedlung führt, werdet ihr sie zwischen den Türmen und der Straße finden.«
    Cadfael nahm den Raum, den Prestcote ihm zugewiesen hatte, in Augenschein und stellte fest, daß er sauber war und ausreichend Platz für alle Toten bot. Er führte seine Männer durch das Stadttor und in den tiefen, trockenen Graben unter den Türmen. Langes, blühendes Gras und niedrige Büsche verbargen zum Teil, was beim Näherkommen wie ein Schlachtfeld aussah. Am Fuß der Mauer lagen die Toten an einer Stelle aufgetürmt, und zu beiden Seiten dieses Haufens lagen sie verstreut – wie zerbrochenes Spielzeug. Cadfael und seine Helfer schürzten ihre Kutten und gingen jeweils zu zweien ans Werk. Sie entwirrten das Durcheinander der Körper, indem sie zunächst die wegtrugen, die am leichtesten aufzuheben waren, und dann die starren Umarmungen lösten, die von dem Sturz von der Burgmauer herrührten. Keiner sprach ein Wort.
    Die Sonne stieg immer höher, und die Hitze wurde von den Steinen der Mauer reflektiert. In dem tiefen Graben wurde die Luft immer dumpfer und stickiger. Sie schwitzten und rangen nach Atem, arbeiteten aber ohne Pause weiter.
    »Gebt gut acht«, sagte Cadfael ermahnend. »Es könnte sein, daß noch einer lebt. Sie waren in Eile – vielleicht haben sie einen zu früh abgeschnitten.«
    Aber die Flamen hatten, trotz aller Eile, gründliche Arbeit geleistet. Sie fanden keinen, der noch atmete.
    Sie hatten früh begonnen, aber es war fast Mittag, bis sie schließlich alle Toten aufgebahrt hatten und mit dem Waschen der Leichen beginnen konnten. Gebrochene Glieder wurden ausgerichtet, Augenlider zugedrückt, die Haare gekämmt und die Kinnladen hochgebunden, damit das Aussehen des Toten seine Hinterbliebenen, die ihn geliebt hatten, nicht erschreckte.
    Bevor er sich zu Prestcote begab und ihn um die versprochene Proklamation bat, ging Cadfael durch die Reihen und zählte die geborgenen Leichen. Als er fertig war, blieb er stehen, runzelte die Stirn und dachte nach. Dann ging er zurück und zählte von neuem. Nach dem zweiten Durchgang nahm er die Tücher von den Gesichtern und untersuchte diejenigen, die er nicht selber getragen hatte, noch einmal eingehend. Als er sich von dem Letzten erhob, lag ein grimmiger Ausdruck auf seinem Gesicht, und wortlos machte er sich auf die Suche nach Prestcote.
    »Wieviele Männer habt Ihr auf Befehl des Königs hingerichtet?«
    »Vierundneunzig«, antwortete Prestcote verwirrt und ungeduldig.
    »Entweder habt Ihr nicht nachgezählt«, sagte Cadfael, »oder Ihr habt Euch geirrt. Es sind fünfundneunzig Leichen.«
    »Vierundneunzig oder fünfundneunzig«, sagte Prestcote verärgert, »einer mehr oder weniger, was macht das schon?
    Sie waren allesamt verurteilte Verräter – soll ich mir deswegen die Haare raufen?«
    »Wenn Ihr es schon nicht tut«, erwiderte Cadfael, »so wird Gott doch um so genauer zählen. Vierundneunzig solltet Ihr töten.
    So lautete der Befehl, ob er gerecht war oder nicht, Ihr hattet jedenfalls die Erlaubnis dazu, und die steht hier nicht zur Debatte. Die Rechenschaft dafür werdet Ihr später und vor einem anderen König ablegen müssen. Aber für den fünfundneunzigsten gilt das nicht: Kein König hat seinen Tod angeordnet, kein Burgverwalter hatte Befehl, ihn zu töten, er war nie wegen Verrat, Rebellion oder anderer Verbrechen angeklagt oder verurteilt, und der Mann, der ihn getötet hat, ist des Mordes schuldig.«
    »Herrgott!« rief Prestcote aufgebracht. »Wenn ein Offizier sich in der Hitze des Gefechts verzählt, wollt Ihr das vor den König bringen? Vielleicht hat man falsch gezählt, aber er wurde unter Waffen gefangengenommen und aufgehängt wie alle anderen, so wie er es verdiente. Er war mit den anderen am Aufruhr beteiligt, und mit den anderen ist er hingerichtet worden – das

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