Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
reserviert. Ein gutaussehender Bursche, das mußte sie zugeben, aber die Zeiten, da sie sich für ihn interessiert hatte, waren vorbei, und jetzt hatte er keinen Anspruch mehr auf sie. Alles ändert sich mit den Umständen. Sie war erleichtert, daß er nicht mehr in ihre Richtung sah.
Trotzdem erzählte sie Bruder Cadfael davon, als sie nach dem Essen wieder allein im Garten waren. Cadfael nahm es sehr ernst.
„Also das ist der Bursche, den du heiraten solltest! Er kam geradewegs aus dem Lager des Königs hierher, und er ist mit Sicherheit einer von Stephens Männern. Allerdings sagt Bruder Dennis, der alle Gerüchte hört, die sich die Gäste erzählen, daß er nur zur Probe aufgenommen worden ist und sich erst noch bewähren muß, bevor er ein Kommando übertragen bekommt.«
Gedankenverloren rieb er seine dicke, sonnengebräunte Nase und dachte nach. »Hattest du das Gefühl, daß er dich erkannt hat? Oder daß er dich nachdenklich angesehen hat, als würdest du ihn an jemanden erinnern?«
»Zuerst dachte ich, er sei erstaunt, mich hier zu sehen. Aber dann hat er nicht mehr herübergeschaut oder irgendein Interesse gezeigt. Nein, ich glaube, ich habe mich getäuscht. Er hat mich nicht erkannt. In den letzten fünf Jahren habe ich mich verändert, und in dieser Verkleidung... Und nächstes Jahr«, sagte Godith erstaunt und fast erschreckt über den Gedanken, »hätten wir heiraten sollen.«
»Das alles gefällt mir nicht!« sagte Cadfael nachdenklich. »Er darf dich nicht sehen. Wenn er die Gunst des Königs erlangt, wird er in einer Woche vielleicht mit ihm weiterziehen. Bis dahin halte dich fern vom Gästehaus, von den Ställen, vom Torhaus oder von jedem anderen Ort, wo du auf ihn treffen könntest. Du darfst nicht von ihm gesehen werden, wenn du es verhindern kannst.«
»Ich weiß!« sagte Godith ernst. »Wenn er mich findet, könnte er mich ausliefern, um seine Beförderung zu beschleunigen. Ja, ich weiß! Auch wenn mein Vater schon das Schiff erreicht hätte, würde er zurückkommen und sich ergeben, falls meine Sicherheit gefährdet wäre. Und dann müßte er sterben wie alle diese armen Teufel dort drüben...« Sie wagte es nicht, den Kopf zur Burg hinzuwenden, deren Zinnen so grausig geschmückt waren. Dort mußten immer noch Gefangene sterben, auch wenn sie es nicht sehen konnte; die Hinrichtung wurde fortgesetzt bis lange nach Einbruch der Dunkelheit. »Ich werde ihn meiden wie die Pest«, sagte sie erregt, »und dafür beten, daß er bald verschwindet.«
Abt Heribert war ein alter, müder und friedliebender Mann. Die Enttäuschungen durch die grauenhaften Ereignisse seiner Zeit sowie der Ehrgeiz und die Energie seines Priors Robert hatten ihn bewogen, sich auf der Suche nach seinem eigenen Seelenfrieden immer weiter von der Welt zurückzuziehen.
Außerdem wußte er, daß er beim König, wie alle, die ihn nicht schnell genug unterstützt hatten, in Ungnade gefallen war. Aber wenn ihn die Pflicht rief, und sei es auch eine schwere und unangenehme, brachte er immer noch die Kraft auf, sie zu erfüllen. In der Burg gab es vierundneunzig tote oder sterbende Männer, deren man sich entledigt hatte wie Vieh, und jeder von ihnen hatte eine Seele und ein Anrecht auf ein ordnungsgemäßes Begräbnis, ganz gleich, welchen Verbrechens er sich schuldig gemacht hatte. Für dieses Recht traten die Benediktiner des Klosters ein, und Heribert war nicht geneigt zuzulassen, daß König Stephens Gegner in einem namenlosen und unmarkierten Grab verscharrt wurden.
Gleichwohl schreckte er vor der Schwere dieser Aufgabe zurück und sah sich nach jemandem um, der hier, wo es um Krieg und Blutvergießen ging, mehr Erfahrung besaß als er selber und der ihm helfen konnte. Und natürlich kam ihm Bruder Cadfael in den Sinn, der beim ersten Kreuzzug die halbe damals bekannte Welt durchreist hatte und danach zehn Jahre lang Kapitän eines Schiffes in den Küstengewässern des Heiligen Landes gewesen war, wo Schlachten zum Alltag gehörten.
Nach der Komplet ließ er Cadfael in sein Studierzimmer kommen.
»Bruder, ich will heute nacht noch zu König Stephen gehen und ihn um Erlaubnis bitten, den hingerichteten Gefangenen ein christliches Begräbnis zu geben. Wenn er sie gewährt, werden wir sie morgen holen und für die Beerdigung vorbereiten müssen. Um einige werden sich dann ihre Familien kümmern, die übrigen werden wir nach den vorgeschriebenen Riten bestatten. Du bist Soldat gewesen, Bruder Cadfael. Wirst du – wenn
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