Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
damit gewonnen«, sagte er eindringlich, »eine solche Geschichte öffentlich zu machen. Begrabt die Toten und laßt sie ruhen!«
»Ihr habt nicht in Betracht gezogen«, gab Cadfael zu bedenken, »daß bis jetzt noch niemand diesen Jungen identifiziert hat. Er kann ebensogut ein Verbündeter wie ein Feind des Königs gewesen sein. Laßt ihm also Gerechtigkeit widerfahren und handelt nicht wider Gott und die Menschen. Außerdem«, fügte er in salbungsvollem Ton hinzu, »könnten Zweifel an Eurer eigenen Rechtschaffenheit aufkommen, wenn Ihr die Wahrheitsfindung verhindert. An Eurer Stelle würde ich das sofort melden und es in der Stadt ausrufen lassen, denn unsere Arbeit hier ist getan. Wenn irgend jemand diesen jungen Mann abholt, dann trifft Euch keine Schuld. Und wenn nicht, dann habt Ihr wenigstens alles getan, was in Eurer Macht stand, und mehr kann niemand von Euch verlangen.«
Einige Augenblicke lang sah Prestcote ihn finster an, dann stand er ruckartig auf. »Ich werde es ausrufen lassen«, sagte er und ging hinaus.
Die Nachricht wurde in der Stadt verkündet und ein Bote zum Kloster gesandt, damit sie auch beim dortigen Gästehaus ausgerufen werde. Hugh Beringar, der vom Lager des Königs aus östlicher Richtung zurückkehrte, weil er den Severn ein Stück weiter flußabwärts überquert hatte, hörte die Bekanntmachung und erblickte unter den Zuhörern Aline Siward, die aus dem Haus getreten war, um die Neuigkeiten zu hören. Zum erstenmal sah er sie mit unbedecktem Kopf. Ihr Haar war hellblond, ganz wie er es sich vorgestellt hatte, und ihr Gesicht wurde von zwei herabhängenden lockigen Strähnen eingerahmt. Sie wirkte unentschlossen, besorgt und sehr jung.
Beringar stieg nur ein paar Schritte von ihr entfernt von seinem Pferd, als habe er rein zufällig diesen Platz gewählt, um in Ruhe zu hören, was Prior Robert jetzt bekanntgab:
»... und seine Gnaden der König stellt es jedem, der will, frei, sich die Toten anzusehen und abzuholen, wenn es Verwandte sind, und sie selber zu beerdigen. Außerdem bittet er alle, die kommen, sich einen der Toten anzusehen, dessen Name und Herkunft nicht bekannt sind, und ihn, wenn möglich, zu identifizieren. Niemand braucht eine Strafe oder einen Nachteil für sich zu befürchten.«
Nicht jeder schenkte dieser Behauptung Glauben. Aber Aline fürchtete weniger die Folgen für sich selber – sie hatte das verzweifelte Gefühl, daß sie diesen schweren Weg auf sich nehmen mußte –, doch gleichzeitig schrak sie vor den Schreckensbildern zurück, die dort auf sie warteten. Beringar fiel ein, daß sie einen Bruder hatte, der sich mit seinem Vater entzweit und sich den Anhängern der Kaiserin angeschlossen hatte; und obwohl Gerüchte zu ihr gedrungen waren, er habe Frankreich erreicht, wußte sie doch nicht, ob sie der Wahrheit entsprachen.
Mit sanfter Stimme und voller Ehrerbietung sprach er sie an.
»Mein Fräulein, ich bitte Euch, über mich zu verfügen, wenn ich Euch in irgendeiner Weise zu Diensten sein kann.«
Sie sah ihn an und lächelte, denn sie hatte ihn in der Kirche gesehen und wußte, daß er ebenso wie sie ein Gast des Klosters war. Trotzdem hielt er es für angebracht, sich vorzustellen:
»Vielleicht erinnert Ihr Euch – wir haben am selben Abend dem König unsere Treue geschworen. Mein Name ist Hugh Beringar von Maesbury. Es wäre mir eine Freude, Euch helfen zu dürfen.
Und es scheint mir, als habe die Bekanntmachung, die wir soeben hörten, Sorge und Bestürzung bei Euch ausgelöst.
Wenn Ihr einen Auftrag für mich habt, so werde ich ihn mit Freuden erfüllen.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Aline. »Euer Angebot ist sehr freundlich, aber es handelt sich hier um etwas, das ich selber tun muß. Außer mir ist niemand hier, der weiß, wie mein Bruder aussieht. Ich kann jedoch nicht leugnen, daß ich davor zurückschrecke... Und trotzdem – ich weiß, daß es Frauen in der Stadt gibt, die dort hingehen mit der Gewißheit, daß sie ihren Sohn dort finden werden. Und was sie können, kann ich auch.«
»Aber Ihr habt keinen Grund zu der Annahme«, antwortete er, »daß sich Euer Bruder unter diesen Unglücklichen befindet.«
»Nein, außer daß ich nicht weiß, wo genau er sich aufhält. Ich weiß nur, daß er für die Kaiserin kämpft. Nein, es ist besser, wenn ich mir Gewißheit verschaffe.«
»Habt Ihr ihn sehr geliebt?« fragte Beringar sanft.
Sie antwortete nicht sofort. »Nein, wir standen uns nicht so nahe wie Bruder und Schwester
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