Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
sein. Bruder Cadfael hat alle, die kamen, befragt, ob sie ihn kannten, aber ich glaube, keiner wußte seinen Namen.«
»Und wo ist er jetzt?« fragte Godith verwundert.
»Das weiß ich nicht. Sicher haben sie auch ihn ins Kloster gebracht. Aber ich darf dich nicht weiter von der Arbeit abhalten. Bitte richte Bruder Cadfael einen Gruß von mir aus.«
Aline drehte sich um und ging zurück.
Godith legte das Kleiderbündel auf ihr Bett im Schuppen und ging wieder an die Arbeit. Mit einiger Unruhe erwartete sie Cadfaels Rückkehr, aber als er schließlich kam, war er müde und hatte trotzdem noch etwas zu erledigen.
»Der König hat nach mir geschickt. Es sieht so aus, als habe sein Verwalter ihm erzählt, worauf ich gestoßen bin, und er will eine Erklärung von mir. Aber ich vergesse ganz«, sagte er und strich mit seiner schwieligen Hand über ihre Wange, »daß ich noch keine Zeit gehabt habe, dir alles zu erzählen. Du weißt ja noch gar nichts davon.«
»Doch etwas weiß ich«, sagte Godith. »Aline Siward war hier und hat nach Euch gefragt. Sie hat diese Kleider gebracht, damit Ihr sie als Almosen verteilt. Sie haben ihrem Bruder gehört. Und von diesem Geld sollen Messen gelesen werden - und eine besondere Messe für den einen, der zuviel war. Jetzt sagt mir, was für ein Geheimnis dahintersteckt!«
Es war angenehm, für eine Weile alles zu vergessen und den Dingen ihren Lauf zu lassen, und so setzte er sich neben sie und erzählte ihr alles. Sie hörte aufmerksam zu. Als er geendet hatte, fragte sie: »Und wo ist er jetzt, dieser Fremde, den niemand kennt?«
»Er ist in der Kirche. Wir haben ihn vor dem Altar aufgebahrt.
Ich will, daß alle, die zum Gottesdienst kommen, an ihm vorbeigehen. Vielleicht kennt ihn doch jemand. Er kann nur bis morgen dort bleiben«, sagte er bedauernd, »das Wetter ist zu heiß. Aber wenn wir ihn morgen begraben müssen, dann an einem Ort, wo er leicht wieder exhumiert werden kann. Wir werden seine Kleider aufbewahren und eine Zeichnung von seinem Gesicht anfertigen lassen für den Fall, daß wir herausfinden, wer er ist.«
»Und Ihr glaubt wirklich, daß er ermordet wurde? Und daß er unter die Hingerichteten gelegt wurde, damit das Verbrechen nicht entdeckt würde?«
»Ja, er ist von hinten erwürgt worden, und zwar mit einer Schnur, die eigens zu diesem Zweck präpariert worden ist. Und das ist in derselben Nacht geschehen, in der die anderen hingerichtet und in den Graben geworfen wurden. Der Mörder hätte keine bessere Gelegenheit finden können. Wer würde diese vielen Toten denn schon zählen? Es war ein sicheres Versteck.«
»Das war es offenbar nicht!« rief sie triumphierend. »Denn dann kamt Ihr. Wer außer Euch hätte es mit fünfundneunzig Toten so genau genommen? Wer außer Euch würde sich für die Rechte eines Mannes einsetzen, der nicht verurteilt war, der ohne rechtliche Befugnis getötet wurde? Oh, Bruder Cadfael, ich denke in dieser Sache ebenso wie Ihr. Laßt den König noch etwas warten und geht mit mir in die Kirche, damit ich einen Blick auf diesen Mann werfen kann.«
Cadfael dachte kurz nach. Dann stand er mit einem leisen Stöhnen auf. Er war kein junger Mann mehr, und er hatte eine lange Nacht und einen harten Tag hinter sich. »Nun gut, dann komm. Wahrscheinlich ist jetzt alles ruhig, aber bleib trotzdem dicht bei mir. Ach, Mädchen, dich muß ich auch noch so bald wie möglich sicher hier herausbringen.«
»Seid Ihr so eifrig darauf bedacht, mich loszuwerden?« sagte sie entrüstet. »Und das gerade jetzt, wo ich anfange zu lernen, was der Unterschied zwischen Salbei und Majoran ist! Was würdet Ihr ohne mich anfangen?«
»Nun, ich müßte einen Novizen anlernen, der länger als nur ein paar Wochen bei mir bleibt. Und da wir gerade von Kräutern sprechen«, sagte Cadfael und zog einen kleinen Lederbeutel aus seiner Kutte, »weißt du, was das hier ist?« Er hatte den Beutel geöffnet und schüttelte einen etwa zehn Zentimeter langen, trockenen Halm heraus, an dem in regelmäßigen Abständen paarweise Blätter standen. Wo die Blätter am Halm entsprangen, waren winzige, braune Kügelchen zu sehen.
Sie betrachtete das Kraut neugierig. »Nein. Hier im Garten wächst das nicht.«
»Das ist Klebkraut – man nennt es auch Labkraut. Es ist ein Rankengewächs, das sich mit kleinen Haken überall festhält.
Und siehst du: Auch an diesen kleinen Samenbällchen befinden sich kleine Häkchen. Ist dir aufgefallen, daß der Halm in der Mitte
Weitere Kostenlose Bücher