Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
Godith sah ihr schon brennend vor Ungeduld über die Schulter und stürzte mit einem kurzen, leisen Schrei an ihr vorbei in seine Arme. Sie hatte sich wieder in Godric verwandelt, und doch würde sie von nun an für ihn niemand anderes als Godith sein, wenn er sie auch noch nie in Frauenkleidern gesehen hatte. Sie klammerte sich an ihn, lachte, weinte, umarmte ihn und schalt ihn gleichzeitig aus.
Zärtlich tastete sie seine verletzte Schulter ab, bestürmte ihn mit Fragen, die sie gleich darauf wieder zurücknahm, und schließlich verstummte sie und hob, in Erwartung eines Kusses, ihr Gesicht. Verdutzt küßte Torold sie.
»Ihr müßt wohl Torold sein«, sagte Aline, die im Hintergrund stand und lächelte, als wisse sie mehr über ihre Beziehung als er selber. »Schließ die Tür, Constance, es ist alles in Ordnung.« Aufmerksam betrachtete sie ihn. Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit hatten ihren Blick für junge Männer geschärft. Er machte auf sie einen guten Eindruck. »Ich wußte, daß Bruder Cadfael von sich hören lassen würde. Sie wollte auf demselben Weg zurückgehen, den sie heute morgen gekommen war, aber ich war dagegen. Er hat gesagt, er würde sie abholen. Ich wußte nicht, daß er Euch schicken würde, aber ein Bote von Cadfael ist bei uns immer willkommen.«
»Hat sie Euch von mir erzählt?« fragte Torold und errötete bei dem Gedanken.
»Nur das, was ich wissen mußte. Sie ist sehr diskret, und ich bin es auch«, sagte Aline ernst. Auch sie war errötet, aber eher vor Aufregung und Freude, und fast bedauerte sie es, daß ihre Beteiligung an dieser Verschwörung nun beendet war. »Bruder Cadfael wartet, wir dürfen keine Zeit verlieren. Je weiter ihr bei Tagesanbruch gekommen seid, desto besser. Hier ist das Bündel, das Godith mitgebracht hat. Wartet hier, ich werde nachsehen, ob im Garten alles ruhig ist.«
Sie schlüpfte hinaus in die Dunkelheit und stand, angestrengt lauschend, am Ufer des Teiches. Sie war sich sicher, daß man keine Wachen aufgestellt hatte. Warum auch – es war ja alles durchsucht und die beschlagnahmten Güter waren abtransportiert worden. Dennoch war vielleicht noch jemand in den Häusern gegenüber wach. Aber auch dort war kein Licht zu sehen; sogar die Läden schienen geschlossen zu sein, obwohl es eine warme Nacht war. Wahrscheinlich fürchtete man, daß ein flämischer Söldner zurückkehren könnte, um im Schutz der Dunkelheit zu holen, was noch zu holen war. Sogar die Zweige der Weiden hingen reglos herab. Die leichte Brise, die unten am Fluß wehte, reichte nicht bis hierher.
»Kommt!« flüsterte sie und hielt die Tür einen Spaltbreit auf.
»Es regt sich nichts. Folgt mir, die Böschung ist hier sehr uneben.« Sie hatte sogar daran gedacht, ihr helles Kleid, das sie am Nachmittag getragen hatte, gegen ein dunkleres zu vertauschen, damit sie nicht so leicht gesehen werden konnte.
Torold hob FitzAlans Schatz an dem Seil hoch, mit dem das Bündel zusammengeschnürt war, und lehnte es ab, sich von Godith beim Tragen helfen zu lassen. Zu seiner Überraschung gehorchte sie sofort und ging schnell und geräuschlos vor ihm her zu der Stelle, wo das Boot unter den herabhängenden Zweigen der Weiden festgemacht war. Aline legte sich am Ufer auf den Boden und hielt das Boot, damit sie sicher einsteigen konnten. Aus einem braven und zurückhaltenden Mädchen war sehr schnell eine Frau geworden, die ihre eigenen Entscheidungen traf und ihre Mittel einzusetzen wußte.
Godith ließ sich in das Boot hinabgleiten, nahm das Bündel entgegen und legte es unter die Ruderbank. Das Fahrzeug war nur für zwei Leute gebaut und lag tief im Wasser, als Torold ebenfalls an Bord war, aber es war robust genug, um sie, wie schon eine Nacht zuvor, an ihr Ziel zu bringen.
Godith streckte die Arme aus und umarmte Aline, die immer noch auf den Knien an der Uferböschung saß. Es war zu spät für Dankesworte, aber Torold küßte die schmale, gepflegte Hand, die sie ihm hinhielt. Dann löste sie den Knoten und warf das Ende der Leine ins Boot. Langsam trieb es vom Ufer ab und wurde von den Wirbeln der Strömung erfaßt, die sie zur Einmündung in den Bach trug. Als Godith sich umsah, konnte sie nur noch den Umriß der Weide und das unbeleuchtete Haus dahinter erkennen.
Bruder Cadfael erhob sich aus dem hohen Gras, als Torold das Boot an das Ufer ruderte, das dem Kloster zugewandt war.
»Sehr gut!« flüsterte er. »Ging alles ohne Schwierigkeiten? Hat niemand etwas
Weitere Kostenlose Bücher