Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Verhalten durchaus unter Einfluss.«
»Vielleicht kifft er.«
»Ich… Das müssen Sie ihn selber fragen. Sehen Sie, ich habe versucht, persönliche Themen zwischen uns möglichst zu vermeiden, weil…«
»Schon klar.« Ich nickte ihr zu. »Na schön, Frau Lipschitz, ich habe jetzt erst mal genug Informationen. Ich nehme an, Sie wollen sich das mit mir noch mal durch den Kopf gehen lassen. Sie können mich jederzeit anrufen.« Ich zog eine meiner Visitenkarten aus der Hemdtasche und reichte sie ihr. »Mein üblicher Tarif als Leibwächter sind hundert Euro die Stunde plus Steuern, bei einer Rund-um-die-Uhr-Einsatzbereitschaft aber mindestens tausend Euro plus Steuern am Tag. Wenn Rashid sich also volllaufen lässt oder Grippe bekommt und den ganzen Tag im Bett bleibt, kostet Sie das immer noch knapp tausendzweihundert Euro. Dafür bin ich bei der Berechnung der Arbeitsstunden flexibel: Wenn Rashid zum Beispiel zwischendurch mal ins Kino oder so was will und ich in der Zeit Kaffee trinken gehen kann, dann setz ich mich nicht vors Kino und behaupte, ich hätte die Straße zwei Stunden lang nach Al-Qaida abgesucht.«
»Gut, das muss ich mit dem Verleger besprechen.«
»Machen Sie das. Und falls es zum Auftrag kommt, geben Sie mir bitte möglichst bald Bescheid, damit ich das Hotel vor Rashids Ankunft überprüfen kann.«
Sie nickte. »Ich würde Ihnen dann auch seine Tagespläne schicken. Wo und wann er welche Veranstaltungen hat.«
»Wunderbar. Und die Drohbriefe.«
»Und die Drohbriefe.«
»Ich warte auf Ihren Anruf.«
Wir erhoben uns aus den Sesseln und schüttelten uns die Hand. Dann brachte ich sie zur Tür und ins Treppenhaus und drückte den Lichtschalter. Die Energiesparbirne verteilte ihr kühles Grau.
»Wie heißt Rashids Roman eigentlich?«
»›Die Reise ans Ende der Tage‹.«
»Aha. Verkauft sich so was?«
»Die Vorbestellungen waren enorm. Bei dem Thema… Obwohl das Buch gerade erst erschienen ist, wird jetzt schon überall darüber geredet. Darum haben wir ja so eine Angst, dass bei der Buchmesse irgendwas passiert.«
Wir nickten uns noch mal freundlich lächelnd zu, dann stakste Katja Lipschitz die Treppe hinunter. Ich wollte sie vor der niedrigen Decke beim letzten Treppenabsatz warnen, ließ es dann aber bleiben. Sie musste genug Erfahrung mit Deckenhöhen haben, und nach ihrer Reaktion auf die »stattliche Erscheinung« zu schließen, erhielt sie lieber keine Hinweise auf ihre Körpergröße.
Zurück im Büro tippte ich Malik Rashid, »Die Reise ans Ende der Tage«, ins Google-Kästchen. Ich landete unter anderem bei der Website des Maier Verlags. Der Roman war ein Jahr zuvor in Paris erschienen, und die französischen Kritiken, die der Verlag zitierte, waren natürlich euphorisch. Aber auch sonst fand ich im Internet fast nur Positives über das Buch. Bis auf den Blog-Kommentar eines Hammid, der sich über den Roman ordentlich auskotzte. Jedenfalls reichte mein Reisefranzösisch aus, um roman de merde und sale pédé zu verstehen. Aber ich stieß auf keine für mich erkennbaren Reaktionen aus Marokko oder sonst einem arabischen Land. Dass der Roman dort, nach Katja Lipschitz’ Worten, für allerhand Aufregung sorgte, war also reine Pressearbeit gewesen. Mir war es recht. Noch ein leichter Job.
Ich nahm die Bahnhofsuhr vom Nagel, schloss den Tresor auf und steckte Pistole und Handschellen ein. Das Zeug sollte Abakay notfalls ein bisschen Eindruck machen. Dann schulterte ich mein Rad und machte mich auf den Weg nach Sachsenhausen.
3
Die Sonne schien auf die Terrasse des Café Klaudia, Leute saßen beim späten Frühstück oder Mittagessen, Worte, Lachen und Geschirrklappern mischten sich zu einer einladenden Geräuschwolke. Ich schloss mein Fahrrad an ein Verkehrsschild und ging zur Haustür neben der Terrasse. Es roch nach rohen Zwiebeln, und die vollen Apfelweingläser leuchteten golden und verlockend. »Das Lieblingsgetränk der Einheimischen sei ein Abführmittel, sagt Edgar.« Es hatte mich in dem Moment, als Valerie de Chavannes es erzählte, tatsächlich ein bisschen geärgert. So hooliganmäßig: Was fällt dem verdammten Holländer ein!
Die Haustür war unverschlossen. Ich fand Abakays Namen auf der Klingelleiste, trat in den Hausflur und stieg möglichst leise die Treppe hinauf in den dritten Stock. Aber es war ein altes Haus, und die Holzstufen knarrten. Als ich den zweiten Stock erreichte, kam es mir so vor, als hätte ich von oben ein weiteres Knarren
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