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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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gehört.
    Ich wusste nicht genau, was ich vorhatte. An der Tür horchen, klingeln: »Guten Tag, Kayankaya, städtische Gaswerke, bei Ihnen müsste es noch eine alte Leitung geben, die versehentlich mit Gas versorgt wurde, darf ich mal kurz durch die Zimmer gehen?« Oder: »Mensch, Abakay, altes Haus! Erinnerst dich? Die Nacht neulich in dem Club? Du hast mir deine Adresse gegeben, jetzt besuch ich dich. Der Ali!« Oder doch einfach: »Gib mir das Mädchen, oder ich hau dir aufs Maul!« Und falls niemand aufmachte? Auf der Treppe warten oder im Café Klaudia? Oder durchs Viertel spazieren und nach den beiden Ausschau halten?
    Ich musste es nicht genau wissen. Ich musste es gar nicht wissen. Im dritten Stock stand die Tür zu Abakays Wohnung halb offen. Auf dem Boden dahinter lag ein dicker weißer halbnackter Mann auf dem Rücken. Er trug Jeans und weiße Sportsocken, und seine Wampe quoll über den Hosenbund wie ein großer Teigfladen. Der Kopf war zur Seite gefallen, das Gesicht mir zugewandt, Speichel lief aus dem Mund, und die Augen glotzten blind.
    Ich zog meine Pistole aus der Jackentasche und schlich so weit heran, dass ich die Ursache erkennen konnte: ein kleiner Stich in Höhe des Herzens, aus dem Blut sickerte. Im nächsten Augenblick hörte ich eine Tür schlagen, und jemand rief aus der Wohnung: »Alles klar, ich hab das Zeug, wir sind dann gleich so weit.« Und nach einer kurzen Pause: »Herr Rönnthaler?«
    Wieder eine Pause, dann näherten sich Schritte. Ich stellte mich hinter den Türrahmen, entsicherte die Pistole und linste in den Wohnungsflur. Abakay – schulterlange, schwarze, glänzende Locken, bleistiftschmales Bärtchen, ein weißes, über der Brust aufgeknöpftes Hemd, schwarze Anzugweste und dicke goldene Ringe an den Fingern – beugte sich erschrocken über die Leiche.
    »Rönnthaler…?!«
    Mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Als Abakay den Kopf hob und sich umsah, betrat ich mit auf ihn gerichteter Pistole die Wohnung.
    »Verdammt, was…?«
    »Wo ist das Mädchen?«
    »Bitte?«
    »Sag mir, wo es ist, oder du bist auch hin.«
    Er riß beschwichtigend die Hände hoch. »Hey, Mann, ich hab keine Ahnung, was hier los ist!«
    »Das Mädchen!« Ich fingerte am Abzug.
    »Ja, ja, ist ja gut! Sie ist hinten im Zimmer! Alles in Ordnung! Bitte…«
    Ich schlug ihm mit der Pistole hart gegen den Kopf, er knickte ein und sank neben die Leiche. Einen Augenblick horchte ich zum Treppenhaus. Ich hatte erneut geglaubt zu hören, wie eine Stufe knarrte, doch alles blieb still. Ich packte Abakay am Arm, schleifte ihn zur Heizung und schloss ihn mit den Handschellen ans Rohr. Danach drückte ich leise die Tür zu und ging schnell die Wohnung ab.
    Ein langer Flur, eine Toilette, das Wohnzimmer, in dem der Fernseher ohne Ton lief, auf dem Sofatisch eine angebrochene Flasche Aperol, eine leere Flasche Prosecco und drei halbvolle Gläser. Gegenüber vom Wohnzimmer die sehr aufgeräumte, blitzblanke Küche mit einer zweiten Wohnungstür zwischen Geschirrschrank und Spülmaschine. Sie war unverschlossen und führte zur Hintertreppe. Auf dem Küchentisch eine Plastiktüte mit fünf kleinen Silberpapierkugeln. Ich öffnete eine der Kugeln und tippte mit der Zunge in das weiße Pulver. Ich schloss die Kugel wieder und versteckte die Tüte mit Heroin in einer Schublade unter einem Stapel Bratpfannen.
    Im nächsten Raum war ein Büro eingerichtet: ein Schreibtisch mit Computer und Drucker, ein Regal mit Bildbänden und mehreren Fotokameras, als Wandschmuck ein großes gerahmtes Schwarzweißfoto von einem Kaffee trinkenden, jungen, gutaussehenden Pärchen in Paris, im Hintergrund der Eiffelturm. Abakay, alter Underground-Fotograf!
    Es folgten ein mit Marmor gekacheltes, ebenfalls blitzblankes Bad, ein Stück Flur mit weiteren gerahmten Schwarzweißfotos links und rechts – Bäume, Mädchen, Katzen, Wolkenformationen – und schließlich eine geschlossene Tür, in der der Schlüssel steckte. Ich beugte mich zum Schlüsselloch und versuchte, am Schlüssel vorbei zu gucken und zu horchen. Es war eine alte Tür mit grobem Schloss, und um den Schlüssel herum war ein millimeterbreiter Spalt. Doch ich sah nur weiße Wand und hörte nichts, dafür roch ich etwas. Etwas Widerliches. Plötzlich bekam ich Panik. Ich sah Marieke nach einer Überdosis an ihrer eigenen Kotze erstickt am Boden liegen. Ich drehte den Schlüssel und stieß die Tür auf.
    Im ersten Augenblick blendete mich die durchs Fenster direkt hereinstrahlende

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