Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
als Leibwächter wirklich so eine gute Idee gewesen war.
Dann gab er sich einen Ruck, sein Mund ging in die Breite, und mit einem Mal wieder mein neuer bester strahlender Freund: »Ich habe schon gehört, dass du deine eigene Position hast und diese auch…«, er nickte beifällig, »…auf originelle Art vertrittst.«
Wieder warf ich einen kurzen Blick zu Katja Lipschitz. Diesmal lächelte sie, als hätte der Chef ihr ein Nagelbrett auf den Stuhl gelegt.
»Nun, Herr Rashid, wenn Bratwurstessen eine Position ist – ja, dann habe ich eine Position. Wollen wir den weiteren Verlauf des heutigen Tages besprechen? Ich nehme an, Sie müssen bald auf die Messe zu Ihren Fans und Terminen.«
Er lachte hüstelnd, ironisch. »Ach, meine Fans! Ich bin doch nur ein kleiner Schreiberling. Hans Peter Stullberg hat Fans oder Mercedes García…« Und mit beiläufig interessiertem Ton und einem Blick über die bunten Sitzmöbel und den Schachbrettmuster-Teppich in Richtung Katja Lipschitz: »In welchem Hotel wohnen die eigentlich?«
Katja Lipschitz schien einen Moment lang in Gefahr, rot zu werden. Dann fing sie sich gerade noch, setzte ein gutmütiges Lächeln auf und erklärte: »Um Mercedes García kümmert sich ihr spanischer Verlag, ich glaube, sie wohnt im Gästezimmer des Instituto Cervantes. Und für Hans Peter Stullberg haben wir im letzten Moment zum Glück noch ein Zimmer im ›Frankfurter Hof‹ bekommen. Der Rohlauf-Verlag hat uns freundlicherweise eins aus seinem Kontingent überlassen. Wegen seines Alters und seiner Rückenbeschwerden kann Hans Peter Stullberg keine weiten Wege mehr gehen.«
»Ach, der Arme.« Rashid verzog mitfühlend das Gesicht.
»Ja, er hat es gerade wirklich nicht leicht. Außerdem«, fuhr Katja Lipschitz fort, und ich meinte, ein winziges listiges Blitzen in ihren Augen zu sehen, »wäre der ›Frankfurter Hof‹ für dich aus Sicherheitsgründen sowieso nicht in Frage gekommen. Da gehen während der Buchmesse jeden Abend, jede Nacht tausende von Leuten ein und aus.« Mir erklärte sie: »Die Bar des ›Frankfurter Hofs‹ ist nach zweiundzwanzig Uhr sozusagen der inoffizielle Mittelpunkt der Messe. Da treffen sich alle: Autoren, Verleger, Journalisten, Agenten, Verlagsmitarbeiter.«
»Abgesehen davon«, sagte Rashid, ebenfalls an mich gewandt, »ist der ›Frankfurter Hof‹ als Hotel natürlich völlig überschätzt. Als ich das letzte Mal während der Buchmesse dort gewohnt habe…« Plötzlich hielt er inne. Vielleicht spürte er, wie Katja Lipschitz plötzlich ziemlich erschöpft zu Boden sah. »Ach, ist ja auch egal. Mittelmäßiges Essen, unfreundlicher Service – so ist das ja meistens bei den sogenannten ersten Häusern am Platz. Haben es eben nicht mehr nötig, sich Mühe zu geben. Wollen wir uns setzen, mein Freund?«
»Gerne«, sagte ich.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Katja Lipschitz.
»Ein Wasser, bitte.«
Während sie dem Barmann ein Zeichen gab, nahm Rashid den Faden noch mal auf: »Es gibt natürlich Ausnahmen. Letztes Jahr beim Literaturfestival in New York –«
»Herr Rashid«, unterbrach ich ihn. »Es ist halb eins, und um ein Uhr dreißig haben Sie laut Tagesplan Ihren ersten Termin auf der Messe. Ich würde vorher gerne noch ein paar Details mit Ihnen durchsprechen.«
»Verstehe.« Er lachte. »Mein guter deutscher Kemal – Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps!« Er lachte weiter. Dabei schien er froh zu sein, dass ich ihm das Hotelthema weggenommen hatte.
Ich sagte: »Es handelt sich in erster Linie um die technischen Abläufe während unseres Zusammenseins. Ich würde zum Beispiel gerne, wenn wir uns durch die Messehallen bewegen, je nach Situation und Menschenaufkommen entscheiden dürfen, ob ich hinter oder vor Ihnen gehe. Wenn Kameras oder Fotoapparate auf Sie gerichtet sind, werde ich mich selbstverständlich im Hintergrund halten.«
Vielleicht war es die Vorstellung von klickenden Kameras, vielleicht die Erinnerung, dass ich nicht wegen meiner sozialen Qualitäten vom Verlag engagiert worden war, sondern um sein Leben vor verrückten Fanatikern zu schützen – jedenfalls wurde sein Gesichtsausdruck mit einem Mal geradezu beflissen. Er nickte und sagte: »Du machst das natürlich alles, wie du es für richtig hältst.«
Katja Lipschitz bekräftigte: »Herr Kayankaya ist für die nächsten drei Tage unser Sicherheitschef, und wir alle sollten seinen Anweisungen Folge leisten.«
Rashid nickte erneut. Das gefiel ihm: Sicherheitschef.
Weitere Kostenlose Bücher