Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Dabei war ich überzeugt, auch Katja Lipschitz glaubte nicht, dass auf Rashid größere Gefahren lauerten als ein mittelloser Kollege, den die Beobachtungen von Abnutzungserscheinungen bei Luxushotels womöglich dazu reizten, Rashid ein Glas Bier ins Gesicht zu schütten, oder eine Tischnachbarin, die seine Hand von ihrem Schenkel schlug.
Doch der Maier Verlag sollte für sein Geld ruhig einen ernstgenommenen Autor kriegen.
Ich fuhr fort: »Sollte es zu kritischen Situationen kommen, bitte erschrecken Sie nicht, ich trage eine Waffe, die ich bei Bedarf ziehen werde. Falls ich Sie zu Boden reißen oder sonstwie in Deckung bringen muss, werde ich versuchen, Ihnen so wenig wie möglich wehzutun.«
»Aha.« Er runzelte die Stirn. Entweder dachte er wie ich, dass das eine hübsche Vorlage war, falls ich mal Lust bekam, ihn in die nächste Besenkammer zu rempeln, oder ihm wurde tatsächlich ein bisschen mulmig.
»Bei Interviews und Kontakten mit Ihren Lesern bleibe ich so unauffällig wie möglich, allerdings muss ich darauf bestehen, falls mir ein Verdacht kommt – und oft ist das reine Intuition –, den- oder diejenige einem kurzen Check auf Waffen und Sprengstoff zu unterziehen. Außer natürlich, die Person ist Ihnen oder Frau Lipschitz gut bekannt.«
»Okay…«, sagte er zögernd.
Vielleicht hatte er sich meine Aufgabe nicht so konkret, nicht so handgreiflich vorgestellt. Der Entschluss, einen Leibwächter zu engagieren, hatte vermutlich ganz praktische, sachliche Gründe gehabt: echte Sorge um die Sicherheit und das Streben nach einem möglichst wirkungsvollen Messeauftritt. Das Bild vom Leibwächter selber und von seiner Arbeit war dabei wohl eher poetisch geblieben. Eine Mischung aus heiterem Kumpel, Ritter Eisenherz und irgendeinem Hollywood-spring-aus-dem-Hubschrauber.
Nachdem der Barmann mir das Mineralwasser gebracht hatte, fragte Katja Lipschitz: »Was machen wir bei Demonstrationen?«
»Demonstrationen?«
»Nun, wir haben Hinweise, dass es zu Protesten moslemischer Gruppen am Verlagsstand kommen könnte.«
»Stand das in den Drohbriefen?«, fragte ich freundlich.
»Wir haben anonyme Anrufe erhalten.«
»Tja…« Ich trank einen Schluck Wasser. »Entweder ist es möglich, mit den Leuten zu reden, oder Herr Rashid und ich gehen eine Rindswurst essen und warten, bis die Demonstration vorbei ist. Sind die anonymen Anrufe auf Ihrem Anrufbeantworter festgehalten?«
»Meine Sekretärin hat sie entgegengenommen.«
»Na, zwischen einem anonymen Anruf und einem öffentlichen Auftritt mit Gesichtzeigen und möglicher Ausweiskontrolle durch die Polizei liegt eine Menge Zeit, in der der Anrufer immer wieder dem verlockenden Gedanken ausgesetzt ist, am Tag X doch lieber einfach gemütlich auf dem Sofa liegen zu bleiben und die nächste DVD reinzuschieben. Anonymen Anrufen folgen nur selten Taten.«
»Und was ist mit Sprengstoffkoffern?«, fragte Rashid.
»Ich nehme an, die Besucher der Buchmesse werden an den Eingängen kontrolliert.«
»Na ja…« Katja Lipschitz machte eine vage Geste. »Es sind keine sehr gründlichen Kontrollen.«
»Tja, da werden wir alle nach einsamen Tüten und Taschen Ausschau halten müssen. Und wenn wir…«, ich lächelte ihnen launig zu, »die eine Tasche übersehen, dann standen wir wenigstens im Dienst von Literatur und Aufklärung.«
»Ja, hm, sehr schön«, sagte Rashid, während Katja Lipschitz ein Gesicht zog, als hätte ich einen Blondinenwitz erzählt.
»Na, machen Sie sich mal keine Sorgen«, fuhr ich fort. »Was habe ich neulich gelesen? Das Risiko, bei einem Sprengstoffanschlag umzukommen, ist in Europa hundertmal geringer, als an einem Mini-Mozzarella zu ersticken. Passen Sie also in den nächsten Tagen bei den kalten Büfetts auf.«
Rashid suchte Augenkontakt mit Katja Lipschitz. Der Blick, den er ihr zuwarf, als sie endlich zu ihm rübersah, sagte so was wie: Kannst du das hier gefälligst sofort wieder in vernünftige Bahnen lenken! Dann nahm er seine Halblitertasse Milchkaffee und verschwand hinter dem unverändert aufragenden Schaumberg. Vielleicht fixierten sie den mit Haarspray. Ohne Schaumberg, hatte Deborah neulich gesagt, gehe ja kaum mehr was im deutschen Kaffeegeschäft. Der Milchschaum auf dem Kaffee habe den Bierschaum als deutschen Schaum Nummer eins klar abgelöst. Ich überlegte, ob ich es lustig fände, Rashid vor den Gefahren einer zu kompakt geschäumten Milch zu warnen, als Katja Lipschitz die Pause schließlich beendete.
»Herr
Weitere Kostenlose Bücher